Mann Ohne Makel
Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge bewacht. Vielleicht Trupps, die eingesetzt wurden, Blindgänger zu entschärfen. Seine Mutter schaute zur Wand, sie sah aus, als wäre sie woanders.
Stachelmann blieb nicht zum Abendessen. Jedes Mal, wenn er seine Eltern besuchte, bat ihn seine Mutter, zum Abendessen zu bleiben. Jedes Mal lehnte Stachelmann ab. »Du sollst nicht so viel arbeiten«, sagte seine Mutter jedes Mal.
Er fuhr auf dem gleichen Weg zurück. Der Stau hatte sich aufgelöst, er war bald zu Hause. Er setzte sich aufs Sofa, legte die CD mit Mozarts 23. Klavierkonzert, Horowitz am Klavier, in den CD-Spieler und begann den nächsten Band mit Hornblowers Abenteuern zu lesen. Er kam nicht weit, etwas raubte ihm die Ruhe. Er schaltete den PC ein, wieder eine Mail von Ossi. Er müsse Stachelmann unbedingt sprechen. Es sei im Zusammenhang mit dem Holler-Fall ein Artikel aufgetaucht, darin gehe es um die SS-Totenkopfverbände.
Stachelmann schaltete den CD-Spieler auf Pause und rief Ossi an. Es meldete sich der Anrufbeantworter. Er sprach einen kurzen Text auf. Stachelmann ließ das Klavierkonzert weiter laufen. Diese CD hatte Anne aufgelegt, als er sie besuchte. Und jetzt wollte sie mit ihm reisen.
Er nahm den Hornblower-Band und begann wieder zu lesen. Es packte ihn nicht. Er wusste, es lag nicht am Buch. So war es immer, wenn etwas in ihm arbeitete.
Das Telefon klingelte, es war Ossi. Sie verabredeten sich für den nächsten Abend im Tokaja. »Diesmal ist es gewissermaßen dienstlich«, sagte Ossi. »Wir haben da was gefunden über die Totenkopfverbände der SS, oder wie immer die heißen.«
***
Am Vormittag erhielten sie die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung des Mercedes. Bis auf ein weißes Haar waren alle Spuren dem Besitzer zuzuordnen. Na toll, dachte Ossi. Das bringt uns kaum ein Stück voran. Er glaubte nicht, dass das BKA mit dem Haar weiterkam. Bei DNS-Analysen braucht man Vergleichsstücke. Aber immerhin, sie würden herausfinden, dass es ein Mann mit altersweißen Haaren war. Ossi hätte darauf gewettet.
Er machte sich auf den Weg zu Maximilian Holler. Er fuhr zu Hollers Büro in der Palmaille neben dem Hochbauamt. Es war modern eingerichtet, alles sah zurückhaltend und sündhaft teuer aus. Ossi musste nicht warten, Holler kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Haltung, ein besseres Wort fiel Ossi nicht ein. Alles an Holler war Haltung. Wie er ging, wie er blickte, wie er reagierte. Vor allem, wie er einen anschaute. Da war etwas Warmes, Einladendes, aber auch etwas Distanzierendes, sodass kaum einer die Einladung annehmen würde. Ossi wusste, dieser Mann war ihm überlegen. Hollers Stimme war ruhig und angenehm, er klang traurig.
»Wir müssen von der Möglichkeit ausgehen, dass Ihre Frau, Ihr Sohn und Ihre Tochter vom selben Täter ermordet wurden«, sagte Ossi. Er schämte sich, aber wie sollte man über Mord sprechen, ohne es brutal klingen zu lassen? Ossi zweifelte, ob er das Gespräch richtig begonnen hatte.
Wenn Holler geschockt war, so ließ er es sich nicht anmerken. »Ja, das sagen alle.« Es klang gleichmütig und doch so wie: Nun erzähl mir mal was Neues.
»Es kann aber auch sein, dass es sich um Einzelfälle handelt«, sagte Ossi. Er hatte dieses Gespräch dumm eröffnet, wie ein kleiner Junge, der herumplappert, um seine Aufregung zu verbergen.
Holler nickte.
»Wir haben eigentlich keine klare Spur«, sagte Ossi.
»Und was ist mit der Polizistin, die überfahren wurde? Ich kannte sie, sie war einmal bei mir zu Hause.«
Ossi hätte gerne gewusst, was Ulrike gefragt hatte. »Ja, das ist eine Spur. Vielleicht hat sie etwas herausgefunden, von dem wir nichts wissen.«
»So?« Er dehnte das O.
»Wir müssen an alle Möglichkeiten denken.« Ossi zögerte, legte sich die Worte zurecht. »Sie sind sich sicher, dass keiner Ihrer Geschäftspartner Sie hasst …«
»Mich so hasst, dass er meine Familie umbringt?«
Ossi nickte.
Holler dachte keine Sekunde nach. »Nein, keiner. Aber das bin ich auch schon ein paar Mal gefragt worden.« Es klang freundlich.
»Wann ist Ihre Firma gegründet worden?«
»Das war mein Vater, 1946.«
»Und der Firmensitz war immer hier?«
»Nein, mein Vater hat die Firma in Schenefeld gegründet. Er ist dann ein paar Mal umgezogen, bis er starb. Zum Schluss war das Büro in Wandsbek. Er hat es vorgezogen, seine Firma nicht in der Innenstadt zu führen. Er mochte es ein wenig ruhiger. Nach seinem Tod zog die Firma von Wandsbek
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