Mann Ohne Makel
füllte er den Meldezettel aus, er erhielt den Zimmerschlüssel und den Schlüssel für den Parkplatz. Er trug seinen Koffer zum Eingang und fuhr seinen Wagen auf den Hotelparkplatz. Dann schleppte er den Koffer zwei Treppen hoch. Er bezog ein kleines Zimmer auf der straßenabgewandten Seite, so, wie er es bestellt hatte. Er streckte den schmerzenden Rücken und legte sich aufs Bett. Hier hatte er mit Anne wohnen wollen. Für sie hatte er das Zimmer nebenan gebucht. Er war traurig.
Am Morgen trank er nur eine Tasse Kaffee. Er war aufgeregt, wie immer, wenn er in ein Archiv ging. Wie viele Rätsel mochten sich noch in den Akten verstecken, in den Millionen von Seiten Papier? Es war so ähnlich wie bei den modernen Schatzsuchern, hundert Versuche, ein Treffer, wenn überhaupt. Immerhin, die Erfolgsaussichten waren größer als beim Lotto.
Stachelmann meldete sich im Lesesaal an. Im Saal standen Tische und Stühle in Reihen. Die meisten Tische waren besetzt, mehrheitlich junge Leute mit Laptops, die für Examensarbeiten nach Archivperlen suchten. Er sah auch einige ältere Männer, manche schlugen sich mit der eigenen Geschichte herum. Einmal hatte Stachelmann sogar Egon Krenz über Akten gebeugt gesehen, als er sich auf seinen Prozess vorbereitete. Es wäre ein tröstlicher Gedanke, wenn bei mancher ehemaligen Größe aus Partei und Staat der DDR das Gewissen der Antrieb wäre, im Archiv nach dem zu suchen, was bei fast allen die Verdrängung schon verschüttet hat.
Stachelmann freute sich, als ein Mitarbeiter des Lesesaals sich an ihn erinnerte, ein hoch gewachsener älterer Herr mit einer langen Nase. Ihn hatte Stachelmann noch als Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus kennen gelernt. Seinen Namen hatte er vergessen, in solch peinliche Lage geriet er oft. Stachelmann freute sich, als er das Namensschild des Manns entziffern konnte, es war Herr Bender.
»Gut, dass Sie uns den Bestand vorab genannt haben. Es herrscht großer Andrang. Es war doch NS 3?«
Stachelmann nickte. »NS 3, das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, und NS 4.«
»Kommen Sie bitte mit«, flüsterte Bender. Er führte Stachelmann zu dem großen Regal mit den Findbüchern, die meisten blau eingeschlagen. Er zeigte auf mehrere Bände, auf deren Rücken erkannte Stachelmann die Signaturen NS 3 und NS 4. »Schauen Sie hinein. Sie können allerdings in dieser Woche nicht alles bekommen. Eine Behörde muss etwas ermitteln, dringend, eilig und so weiter. Man freut sich als Staatsbürger, wenn eine Behörde sich beeilt. In diesem Fall aber sind Sie der Leidtragende.«
»Welche Behörde?«, flüsterte Stachelmann.
»Kommen Sie auf den Gang«, sagte Bender. Als sie den Lesesaal verlassen hatten, flüsterte Bender: »Irgendeine Stelle der Hamburger Finanzverwaltung. Steuerfahndung, tippe ich mal.
Nur, die Steuerhinterzieher in diesen Akten, die sind längst aus dem Schneider, verjährt. Und nun verklage mal jemand die SS oder ihren Verwaltungschef Pohl auf Steuernachzahlung.« Ben-der kicherte. »Ich habe die beiden Herrn gefragt und keine Antwort gekriegt. Das Einzige, was ich herausgefunden habe, ist, dass die beiden die Höflichkeit nicht erfunden haben. So war das früher immer.«
Stachelmann begriff, Bender ärgerte sich. Sonst hätte er sich nicht hinreißen lassen zu schimpfen. »Und nun habe ich also meine Recherche vor Monaten beantragt, fristgerecht, und komme trotzdem nicht an die Akten, die ich anschauen will.«
»So schlimm ist es nicht«, sagte Bender. »Die meisten kriegen Sie, aber eben nicht alle.«
»Und wann kriege ich die Akten, die die Finanzheinis sich unter den Nagel gerissen haben?«
Bender zog seinen Mund in die Breite, die Augenbrauen wanderten nach oben. »Ich weiß es nicht. Ich fürchte, das wissen nicht einmal die Herren aus Hamburg.«
»Und welche sind es?«
»Zurzeit einen Haufen aus dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt und auch NS 4 Ne, also Neuengamme. Die haben sich alle Hamburger Akten unter den Nagel gerissen und alle zentralen, die mit Hamburg zu tun haben könnten. Eine Menge.«
»Toll«, sagte Stachelmann. »Vielleicht kann man mit den Herren verhandeln?«
»Versuchen Sie es. Wenn Sie sich den Tag verderben wollen.«
»Zeigen Sie mir die Herren bitte.«
Bender verzog sein Gesicht, als hätte er etwas Saures gegessen. »Bitte, ich will Ihrem Unglück nicht im Weg stehen.« Sie gingen zur Tür, Bender zeigte auf zwei Männer, die ihnen die Rücken zuwandten. »Die beiden. Aber
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