Mannerfreie Zone
Möglichkeiten. Warum interessiere ich mich überhaupt für diese Veranstaltung? Vielleicht, weil ich all das lieber zuerst von Rob gehört hätte und er mir kein Wort darüber verraten hat. Das ist allerdings kein guter Grund. Ich würde mir ernsthaft wünschen, dass mir meine Kollegen wichtig sind. Aber ganz ehrlich, das ist nicht der Fall. Auch mein Job interessiert mich nicht wirklich. Ich bin da nur so reingerutscht. Mist! Aber was wäre, wenn die Veränderungen bedeuten, dass ich künftig noch mehr nervige Verwaltungsarbeiten machen muss, noch öfter Mittagessen bestellen und noch mehr Büromaterial verwalten muss? Was, wenn sie für Elise, die im Schwangerschaftsurlaub ist, keinen Ersatz einstellen? Was, wenn sie ihre Aufgaben einfach solange auf mich abwälzen bis Elise wieder zurückkommt? Oh mein Gott! Werde ich in drei Monaten überhaupt noch hier sein? Das ist alles so deprimierend!
„Also, hat noch jemand was zu sagen? Sie wissen ja, ich werde alles absolut vertraulich behandeln.“ Sie schaut mich direkt an. Ich kann nicht länger standhalten, aber was soll ich nur sagen? Diese Veranstaltung nervt mich, ich will so schnell wie möglich hier raus.
„Nun.“ Ich schlucke schwer und fühle mich mit einem Mal wieder so wie in der Schule. Mist. „Ich mache mir um nichts Konkretes Sorgen, nur um die Veränderungen im Allgemeinen. Veränderungen sind immer beängstigend.“
Ich schwöre es, Mabel kann sich vor Begeisterung kaum halten. Sie hat uns von Anfang an gesagt, dass es keine richtigen oder falschen Aussagen gäbe, dass wir einfach unseren Gefühle freien Lauf lassen sollten, damit wir „ganz im Vertrauen“ darüber reden können. Ich habe noch nicht zu Ende gesprochen, da klatscht sie bereits in die Hände, die Augen fallen ihr fast aus dem Kopf. Ganz kurz habe ich das beunruhigende Gefühl, dass sie einen Orgasmus bekommt.
„Ja, Eve!“ ruft sie. „Ich glaube, da haben Sie etwas sehr Richtiges gesagt. ‚Veränderung‘ ist ein hässliches Wort. Manchmal wissen wir einfach nicht genau, was für ‚Veränderungen‘ vor uns liegen.“ Vergessen Sie nicht, dass Mabel nach jedem fünften Wort eine Pause macht, um mit allen außer Gary Blickkontakt aufzunehmen. Zwar deutet sie die Anführungszeichen nicht mit den Händen an, aber mit der Stimme, ich weiß also schon genau, wo sie stehen werden, wenn wir später das Protokoll dieses Workshops gemailt bekommen.“
„Was Eve gerade gesagt, hat ist enorm wichtig. Damit hat sie wirklich die Ängste von uns allen angesprochen, und die größte Angst ist die vor Veränderung. Veränderung des ‚Bekannten‘, unserer alltäglichen Aufgaben. Und noch beängstigender sind die Veränderungen des ‚Unbekannten‘, also von den Dingen, denen wir uns nur am Rande bewusst sind. Ich möchte Eve wirklich danken, dass sie das angesprochen hat.“
Meine Großmutter hat einen bestimmten Ausdruck für so was, „unverständliches Geschwätz“, und ich weiß, dass meine Großmutter das nicht in Anführungszeichen setzen würde. Aber trotzdem fühle ich mich geschmeichelt, weil ich diesen „enorm wichtigen“ Kommentar abgegeben habe. Ich zwinkere Lorraine zu, die anfängt zu lachen. Wahrscheinlich denkt sie gerade an ihre Hunde.
Wie auch immer, Mabel ist der Ansicht, dass meine enorm wichtige Aussage das beste Abschlusswort für den Workshop ist. Am Nachmittag soll es noch Einzelgespräche mit ihr geben, in denen wir noch mehr über dieses „Bekannte“ und „Unbekannte“ erfahren sollen. Ich tippe Gary auf die Schulter, und er schaut mit tränenfeuchten Augen zu mir auf.
Als ich mit Lorraine zurück an meinen Platz laufe, erklärt sie mir, dass die Geschäftsführung offenbar einen neuen Plan hat, was die Verwaltungsaufgaben angeht, und das trägt nur noch zu meiner Angst bei, dass ich künftig mehr arbeiten muss.
„Für dich ist das vielleicht ganz aufregend, Eve, du bekommst womöglich mehr Verantwortung, auch wenn du Angst vor Veränderungen hast.“
„Oh Lorraine, das ist alles so lächerlich, aber im Ernst, ich will keine weiteren Verwaltungsaufgaben machen.“
„Ich weiß, dass du schreiben möchtest.“ Es ist ganz klar, dass Lorraine sich insgeheim über mich lustig macht. Sie gehört noch zu den Leuten, die meinen, man sollte glücklich sein, überhaupt einen Job zu haben.
Als die Zeit für mein Einzelgespräch mit Mabel gekommen ist, gehe ich in den Raum, den sie extra dafür gebucht hat. Sie lächelt strahlend, als sie mich sieht. Das
Weitere Kostenlose Bücher