Mannerfreie Zone
laufen.“
„Das ist ein ziemlich weiter Weg“, bemerkt Raj.
Ich laufe die Avenue A entlang und wundere mich darüber, wie viel in den Straßen los ist. Da sind Leute, die Instrumente ausladen, im Thompson Square Park findet eine Demonstration statt, die Cafés sind völlig überfüllt, teure Restaurants werden nach der Mittagszeit geputzt, ein Studentenfilm wird gedreht, und Unmengen von Leuten betteln um Geld.
Endlich wird es auch langsam wärmer, und wenn ich noch aufs College gehen würde, würde ich jetzt meine Sandalen auspacken und mich auf den Hügel in der Nähe des Studentenwohnheims setzen. Aber ich gehe nun mal nicht mehr zur Schule, jetzt bin ich hier. Ich bin in New York, habe nicht gerade viel Geld in der Tasche und ziemlich wenig Sicherheit, was die Zukunft angeht. Aber es kommt mir so vor, als würden sich gerade jetzt alle Gründe, warum ich hier sein will, vor mir aufreihen. Ich atme tief ein. Ich inhaliere dieses Gefühl und verspüre wieder so etwas wie Hoffnung.
Ich beschließe, mir noch einen weiteren Tag zu geben. Ich kann einfach noch nicht zur Arbeit gehen. Nicht, bevor ich nicht mein Leben in den Griff bekommen habe. Ich beginne mit der einfachsten Aufgabe: Rob. Ich vermisse ihn nicht. Okay, ich schätze, ich vermisse Teile von ihm – die guten Teile. Aber ich habe nicht das Gefühl, als ob wir jemals auf dem gleichen Level gewesen wären. Es ist nicht so einfach, mit einem Mann zusammen zu sein, der so viel Einfluss darauf hat, ob man einen Job bekommt oder nicht. Man kann so eine Beziehung nicht führen, ohne sich ein klein wenig wie eine Nutte zu fühlen.
Und dann gibt es da noch Todd (ich gehe also direkt von der einfachsten zur schwierigsten Aufgabe). Ich kann nicht recht begreifen, warum ich so viel an ihn denken muss. Warum traue ich mich nicht, ihm eine Nachricht zu hinterlassen? Warum habe ich, wenn ich die Augen schließe und an irgendeinem Typ im Fahrstuhl oder an Rob denken will – eigentlich an jeden außer Todd –, so ein seltsames Gefühl im Magen? Ich kann es nicht erklären. Jedenfalls gefällt es mir nicht. Ich kenne diesen Typen doch schon seit Ewigkeiten, es kann nicht sein, dass ich mich wirklich zu ihm hingezogen fühle.
Davon abgesehen, dass er eine Freundin hat und in Atlanta lebt. Ich muss mich einfach ablenken. Und dann gibt es da natürlich noch meine Mom und meine Schwester. Ich beschließe, Chuck anzurufen. Ich weiß auch nicht, warum. Ich hoffe nur, dass meine Schwester nicht rangeht.
Ich habe Glück, sie ist an der Uni. Er klingt richtig erfreut: „Bist du bei der Arbeit, Eve?“
„Nein, ich habe mir den Tag freigenommen.“
„Jeder braucht hin und wieder einen freien Tag.“ Wenn man Chuck heißt, ist natürlich jeder Tag ein freier Tag. „Ich freue mich echt, dass du anrufst, Eve.“
„Wirklich?“
„Ja. Wie gehst du mit der Krankheit deiner Mom um?“
„Ich glaube ganz okay. Ich war letzte Woche zum Abendessen zu Hause, das war wirklich nicht witzig. Ich bin nicht über Nacht geblieben. Aber sie hat behauptet, dass es ihr gut geht.“
„Und hast du ihr geglaubt?“
„Das wollte ich, aber du weißt ja, dass sie nicht immer ganz ehrlich zu mir sind.“
„Das ärgert dich ziemlich, oder?“ Mir fällt auf, dass Chuck nur auf das reagiert, was ich sage, und mich ermuntert, noch mehr zu sagen. Vielleicht glaubt er ja, dass er mich an der Nase rumführen kann, aber mir ist vollkommen klar, was er vorhat.
„Chuck, immerhin handelt es sich um meine Familie. Ich bin wirklich sauer, dass sie Monica davon erzählt haben und mir nicht. Nimm’s nicht persönlich.“
„Sieh mal, Eve, hier geht es doch nicht um Monica. Und ich möchte, dass du mich als deinen Freund betrachtest.“
„Aber wieso?“ Die Frage scheint ihn zu überraschen.
„Nun ich schätze, weil ich eines Tages gerne ein Teil eurer Familie sein würde, und ich will nicht, dass du mich ablehnst, weil du das Gefühl hast, dass ich irgendwie nicht ehrlich zu dir war.“
„Verstehe.“
„Ich weiß, dass du im Augenblick nicht sonderlich gut mit deiner Schwester auskommst. Das tut ihr ziemlich weh und dir ganz bestimmt auch. Leider fallen Familien in schweren Zeiten oft auseinander.“
„Was glaubst du, warum sie es ihr erzählt haben und nicht mir?“
„Ich weiß es nicht, Eve.“ Tolle Hilfe. „Vielleicht weil du viel näher bei ihnen wohnst und sie das Gefühl hatten, dass du dich dann verpflichtet fühlen würdest, dich die ganze Zeit um sie zu kümmern.
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