Mannerfreie Zone
fragt und meine Ängste aus dem Weg räumt, indem sie mir sagt, wie charmant ich sein kann und dass ich, wenn ich mich etwas zurückhalte, bestimmt eine tolle Zeit haben werde. Stattdessen sagt sie dies: „Versuch einfach, dich nicht vor allen Leuten zu blamieren. Was ich damit sagen will ist, dass du mit deinem ausgewählten Opfer dann zumindest eine dunkle Ecke aufsuchen solltest.“
„Glaubst du, dass ich so eine Schlampe bin?“
„Nun, es ist schließlich schon eine Weile her.“
„Danke, dass du mich daran erinnerst.“
„Gibt es eine Chance, dass ich eine Einladung bekomme?“
„Wer glaubst du, bin ich? Außerdem, macht deine Firma nicht eine eigene Weihnachtsfeier?“
„Klar, in einer Kneipe in der Nähe vom Hafen. Furchtbar.“
„Ich glaube wirklich kaum, dass ich dir eine Einladung besorgen kann. Es gibt Gästelisten und all so was.“ Roseanne schaut mich an und verdreht die Augen. Sie übernimmt einfach zu viel von Tabitha. Gestern hat sie völlig fasziniert Tabithas Rede gelauscht, wie man Türsteher davon überzeugt, einen in den VIP-Bereich zu lassen. Und jetzt will sie die Prescott-Nelson-Gästeliste nicht akzeptieren. Ich habe Roseanne immer als meine
Fair Lady
betrachtet (wobei Tabitha sie lieber als meinen
Frankenstein
bezeichnete), aber so langsam gerät sie außer Kontrolle.
„Was ist mit dem Kleid, das deine Mom vorbeigebracht hat? Ich finde es sehr hübsch.“
„Ja, vielleicht ziehe ich es an, aber vielleicht sollte ich doch lieber das übliche Schwarze anziehen, das passt immer.“
„Nein, zieh’s doch mal an. Es ist wirklich schön.“ Eigentlich will ich es nicht anprobieren, aber schließlich muss ich ja mal entscheiden, ob ich es tragen werde oder nicht, damit ich mir schon eine gute Ausrede für Tabitha einfallen lassen kann, falls nicht.
Ich betrachte mich im Badezimmerspiegel. Es sieht toll aus. Machtvoll. Jeder würde darin toll aussehen. Wenn nur irgendwie mein Bauch flacher wäre. Roseanne ruft durch die Tür, dass ich mich zeigen soll. Als ich herauskomme, nickt sie anerkennend.
„Ich finde es ja auch cool, aber das hier.“ Ich deute auf meinen Bauch. „Und sieh mal jetzt, was ist das?“ Ich strecke meinen Bauch noch weiter raus.
„Das ist dein Bauch. Der ist schon in Ordnung. Nicht flach, aber okay. Ein Bäuchlein“
„Ein was bitte?“
„Weißt du, auf dem College war ich doch mit Bill zusammen, und einmal waren wir mit Jake, Liam, Cav und Carlton in seiner Wohnung. Ich war in der Küche, und sie haben im Wohnzimmer irgendeinen Männerkram angesehen, Football oder so. In der Werbepause haben sie angefangen, über Mädchen zu reden. Es war erstaunlich, wie sie einfach so das Thema gewechselt haben. Sie meinten, es wäre wichtig, ein Mädchen zu finden, das nicht zu dünn ist. Jake sagte: ‚Wisst ihr, Vitali hat die perfekte Figur.‘ Carlton sagte: ‚Ja, es wäre bestimmt kuschelig, an ihrer Seite zu schlafen‘, und Liam meinte: ‚Sie hat einen tollen Hintern.‘“
„Echt wahr? Und was hat Cav gesagt?“
„,Lasst uns auch noch den Leim aus der Pfeife rauchen.‘ Aber all die Typen waren sich einig, dass du einen tollen Körper hast, und ich dachte: Wow! Eve muss nicht mal was dafür tun, sie hat ihn einfach.“
„Mensch, das ist gut zu wissen. Ich wünschte nur, ich hätte geahnt, dass Jake so dachte, ich fand ihn immer sehr süß.“ Roseanne und ich teilen einen Augenblick der Reue.
„Also, ziehst du es an?“ Ich starre wieder auf mein Bäuchlein. Ich kann bestimmt lernen, es zu lieben. Ich werde es lieben. Ich nicke. Ich werde das Kleid tragen. Und mir tut schon jetzt jeder Mann Leid, der mir in die Quere kommt.
Die Einladungen kommen in einem Umschlag aus Hanf und sind an die Assistentin der jeweiligen Abteilung adressiert – das bin ich, Leute! Jemand scheint das gespürt zu haben, denn plötzlich versammeln sich alle wie die Aasgeier um meinen Schreibtisch und warten, dass ich ihnen verrate, wo die Feier stattfindet. In der Zeit, die ich brauche, um den Umschlag zu öffnen, haben fünf Mitarbeiter bereits Wetten abgeschlossen. Ich bekomme ein wenig Platzangst. Herb taucht auf und schlägt vor, dass sie seiner Assistentin „doch etwas Luft zum Atmen“ lassen sollen. In Wahrheit drängt er sich genauso wie die anderen um mich, doch das mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck.
Ich reiße den Hanfumschlag auf und schaue in die erwartungsvollen Gesichter der Mitarbeiter. Vielleicht werde ich niemals mehr so viel Macht haben
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