Manöver im Herbst
Chef der Heeresleitung melden werde. Auf jeden Fall dürfen Sie beruhigt sein. Wir sind immer für Sie da.«
In Eger sprach der Regimentskommandeur. Hauptmann Schütze war nicht erreichbar. Aber der Oberst versprach Amelia, alles an ihn zu berichten. »Der Vorfall ist ungeheuerlich«, sagte der Oberst. »Sobald es geht, werde ich Ihrem Gatten einen Sonderurlaub geben.«
General Müller begleitete Amelia durch die Gänge bis vor das Portal. Irgendwie fühlte er sich schuldig. Heimlich schuldig. Er hatte den Hauptmann Schütze immer als ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit angesehen, als einen im starren Traditionsbewußtsein festgefahrenen Trottel. Das plötzliche Ausbrechen aus dieser Starrheit kam so überraschend, daß die Verblüffung über Hauptmann Schütze größer war als die Ungeheuerlichkeit des Anlasses.
»Wie soll ich mich verhalten, wenn die SS-Männer wiederkommen?« fragte Amelia. In ihrer Stimme schwang Angst.
»Tun Sie gar nichts. Benachrichtigen Sie uns nur sofort.«
»Ich danke Ihnen, Herr General.«
General Müller sah Amelia nach, wie sie in die Taxe stieg. Was kann man da tun, dachte er. Eigentlich gar nichts. Man kann beim Reichssicherheitshauptamt intervenieren. Sich beschweren. Dort wird man sich entschuldigen, von einem Irrtum reden, versprechen, die Schuldigen zu bestrafen. Und geschehen wird nichts.
General Müller seufzte. Er wußte wie kaum ein anderer, welcher Riß durch Deutschland ging und wie er von Monat zu Monat breiter wurde.
*
In Eger, in Karlsbad, Brüx, Teplitz-Schönau, Aussig, Bodenbach, im ganzen ›befreiten‹ Egerland wiederholte sich das gleiche: Vor allen Städten, selbst vor den kleinen Dörfern, wurden große weiße Schilder errichtet, auf denen in breiter Balkenschrift stand: Das Egerland wünscht keine Juden!
Von Plauen, Zwickau und Chemnitz rückten SA-Sturmbanne in das Land ein, um den ›Kameraden‹ zu helfen. Ihr Erscheinen war wie eine kleine Sintflut. Die tschechischen und jüdischen Geschäfte wurden ausgeräumt. Man sah die SA-Männer mit fünfzehn, zwanzig Oberhemden über dem Arm durch die Straßen laufen. Anzüge wurden weggeschleppt, Mäntel, Pelze, Geschirr, Kleider, Kostüme, Hüte … fassungslos standen die befreiten Egerländer vor den altvertrauten Geschäften und sahen zu, wie die braunen Kolonnen aus dem ›Reich‹ die Schaufenster leerräumten und die Beute auf Lastwagen verluden.
Nach aufgefundenen Listen wurden weitere Kommunistentransporte zusammengestellt. Gegner des Nationalsozialismus, Sozialdemokraten, tschechische Heimattreue wurden in Schulen und schnell eingerichteten Notgefängnissen gesammelt und dann unter Bewachung des ›Sudetendeutschen Freikorps‹ nach Plauen und Zwickau in die Zuchthäuser geschafft.
Zum erstenmal kamen Begriffe wie ›Auf der Flucht erschossen‹ auf. Gleich hinter der ehemaligen Grenze, in unwirtlichen Gebieten des Erzgebirges, an einsamen Stellen wurden die Kommunisten liquidiert. Auch im Kaiserwald südwestlich Egers krachten nachts die MG-Garben.
Man kümmerte sich nicht groß darum. Aus dem Radio ertönte Marschmusik, sprach die Stimme des Führers, wurden neue Gesetze verkündet.
Es blieb nicht aus, daß Heinrich Emanuel Schütze in diesen Strudel hineingezogen wurde. Er lag mit seiner Kompanie bei Falkenau zwischen Eger und Karlsbad und hatte für Ordnung in seinem Gebiet zu sorgen.
Als die ersten Lastwagen mit der Plauener SA in Falkenau einrollten, ließ er seine Kompanie antreten.
»Soldaten!« sagte er laut. »Wir sind hier, um die deutsche Bevölkerung vor den Tschechen zu schützen. Die Rückführung des Egerlandes in das Großdeutsche Reich soll ein friedlicher Akt sein! Ich glaube aber, daß wir es jetzt viel nötiger haben, die Deutschen vor den Deutschen zu schützen. Ich erwarte, daß jeder von euch getreu seinem Eide seine Pflicht tut!«
Drei Stunden später liefen die Beschwerden in der Gauleitung ein. Von allen Seiten kamen sie, und immer war es der gleiche Satz:
»Da ist ein idiotischer Hauptmann, der geht mit seinen Leuten gegen unseren SA-Sturm vor. Er hindert uns, die tschechischen Geschäfte zu schließen. Er schützt sogar die Juden. Was sollen wir tun? Wir können doch nicht auf die Wehrmacht schießen …«
Heinrich Emanuel Schütze ließ sich nicht beirren. Er sammelte die SA-Leute mit dem Diebesgut auf dem Arm ein, inhaftierte sie und meldete sie der provisorischen Polizei und seinem Bataillonskommandeur als Plünderer und Räuber.
Gegen Abend wurde
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