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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schwindelanfall‹. Der junge Mann hat zu fleißig studiert.«
    Der Arzt gab keine Antwort mehr. Er blieb bei Christian-Siegbert, bis der Krankenwagen kam und ihn abholte. »Ich bleibe bei ihm, bis er aufwacht und rufe Sie sofort an, Frau Schütze«, sagte er draußen auf der Treppe. »Sie können ja jetzt nicht weg. Ich werde sofort der Ärztekammer mitteilen, was hier geschehen ist. Noch leben wir in einem Rechtsstaat.«
    »Noch –«, sagte Amelia gedehnt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Kann … kann … Christian einen Schädelbruch haben –«
    »Das glaube ich nicht. Aber eine schwere comotio ist es bestimmt …« Er drückte Amelia die Hand. Immer und immer wieder. »Ich werde alles tun, was ich tun kann. Können Sie Ihren Gatten erreichen?«
    »Er ist in Eger. Ich glaube kaum, daß ich eine Verbindung bekomme.«
    »Von Ihrem Telefon nie. Das wird jetzt überwacht. Aber fahren Sie zur Bendlerstraße. Lassen Sie von dort aus alles regeln. Der Generalität gegenüber ist auch die SS noch wehrlos.«
    Als Amelia zurück ins Zimmer kam, hatten die SS-Männer einen Brief gefunden und hielten ihn ihr entgegen.
    »Was ist denn das?«
    Amelia hob die Schultern. »Ich kann von hinten nicht sehen, wer ihn geschrieben hat.«
    »Ein General a.D. v. Perritz …«
    »Das ist mein Onkel. Ich bin eine geborene v. Perritz.«
    »Eine schöne reaktionäre Bande. Wirklich. Der Brief ist beschlagnahmt. Die ganze adelige, degenerierte Sippe sollte man einsperren.«
    Nach drei Stunden verließen sie endlich die Wohnung Schützes. Sie begegneten noch Uta-Sieglinde, die aus dem Lyzeum kam. Sie war ein hochaufgeschossenes Mädchen geworden, fünfzehn Jahre alt und mit beginnenden, fraulichen Formen. Ihre langen, blonden Haare trug sie in zwei dicken Zöpfen. Die SS-Männer griffen ihr unters Kinn und klopften ihr auf das Gesäß.
    »Netter Käfer! Ihre Tochter?«
    Amelia gab keine Antwort. Sie winkte mit dem Kopf. Uta rannte in die Küche. Die SS-Männer lachten.
    »Na, dann nicht, adelige Tante! Heil Hitler!«
    Nach dem Essen bestellte Amelia eine Taxe und fuhr mit ihren Kindern in die Klinik zu Christian-Siegbert. Er lag mit dick verbundenem Kopf in einem Einzelzimmer, war bei Besinnung und umklammerte die Hand Amelias, als sie ihn begrüßte.
    »Haben sie dir was getan, Mutter?« keuchte er. »Haben sie dich auch geschlagen? Sag es mir … bitte, bitte … Du brauchst keine Angst zu haben. Ich rege mich nicht auf. Ich will es nur wissen …«
    »Sie haben mir nichts getan.« Amelia streichelte über das blasse, blutleere Gesicht Christians. »Du mußt ganz ruhig liegen, hörst du. Und du mußt alles tun, was die Ärzte dir sagen. Ich lasse Giselher und Uta bei dir … ich komme in einer Stunde wieder …«
    Christian sah der Mutter nach, bis sie die Tür geschlossen hatte. Dann zog er Bruder und Schwester zu sich heran. »Hat man Mutter wirklich nichts getan?«
    »Nein. Nur mich haben sie auf den Hintern geschlagen«, sagte Uta.
    »Ich war noch in der Schule.« Giselher gab seinem Bruder einen Schluck Apfelsinensaft zu trinken. »Willst du die SS etwa verklagen wegen Körperverletzung?«
    »Nein. Das hat doch keinen Sinn. Aber ich trete aus allem aus. Aus der HJ, aus dem NS-Ruderverband …«
    Giselher-Wolfram kratzte sich den Kopf. Er war jetzt achtzehn Jahre alt und glich mehr Heinrich Emanuel.
    »Das gibt noch ein Theater«, sagte er. »Aus der HJ austreten … Mensch, überleg' dir das noch –«
    *
    Von der Gendlerstraße aus erhielt Amelia nach zwanzig Minuten eine Verbindung mit dem Regiment in Eger.
    General Müller, an den sie verwiesen wurde, hatte sich ihre Erzählung stumm angehört. Nur sein Gesicht wurde immer steinerner. Am Ende legte er seine Hände zusammen und starrte auf die Unterschriftenmappe vor sich.
    »Ich kann die Hintergründe noch nicht übersehen«, sagte er. »Nur soviel weiß ich, daß im Sudetenland Ihr Gatte einen unschönen Zusammenstoß mit einer SS-Einheit hatte. Er war im Recht –«
    Amelia nickte. Heinrich Emanuel war immer im Recht, dachte sie. Seit 1913 kämpft er eigentlich, mit kleinen Unterbrechungen, immer um die Anerkennung seines Rechtes. Es ist seine Tragik, daß seine Umwelt immer wieder wechselnde Ansichten von diesem Recht besitzt. Nichts auf der Welt wird so sehr strapaziert wie das Recht.
    General Müller hob die Schultern. »Der Divisionskommandeur hat schon das Nötige unternommen. Wer konnte mit dieser Aktion in Ihrem Hause rechnen? Das sind neuartige Methoden, die ich dem

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