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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hauptmann Schütze ans Telefon gerufen. Der Oberst, sein Regimentskommandeur, war selbst am Apparat.
    »Sind Sie verrückt!« rief er. »Was machen Sie denn nun schon wieder? Gauleiter Henlein steht Kopf! Wir können Sie es wagen –«
    »Ich tue nur meine Pflicht, Herr Oberst.« Heinrich Emanuel atmete tief durch. »Wenn jemand plündert – auch wenn er eine braune Uniform anhat – ist er für mich ein Plünderer. Wo er plündert, ist mir gleichgültig.«
    »Es handelt sich hier um politische Akte, Mann!«
    »Ich wußte nicht, Herr Oberst, daß Diebstahl zur Politik gehört.«
    »Es sind Repressalien, Herr Hauptmann!«
    »Wenn die Gegenstände ordnungsmäßig beschlagnahmt und registriert werden – ja. Aber was hier geschieht, ist glatter Einbruch. Ist persönliche Bereicherung!«
    »Maßen Sie sich kein Urteil an!« brüllte der Oberst. Daß sein Hauptmann recht hatte, recht wie immer, erregte ihn maßlos. Um so elender war es in ihm, etwas decken zu müssen, was er selbst zutiefst verabscheute. »Sie stellen sofort Ihre Aktionen ein und lassen die SA-Leute frei.«
    »Zu Befehl, Herr Oberst.« Heinrich Emanuel sprach besonders deutlich. »Ich wiederhole den Befehl: Anordnung des Regimentes: Ich habe sofort die Diebe freizulassen, die Plünderer zu schützen und die Ausgeraubten für vogelfrei zu erklären …«
    »Kommen Sie morgen zu mir, Schütze.« Die Stimme des Obersten war leise. Sie hatte allen militärischen Klang verloren. »Die Wand, durch die Sie wollen, ist stärker als Ihr Kopf.«
    »Morgen zum Rapport, jawohl, Herr Oberst.«
    »Ist es zu Tätlichkeiten mit den SA-Leuten gekommen?«
    »Vereinzelt.«
    »Auch das noch. Schütze, wie soll ich Sie bloß vor dem Gauleiter verteidigen? Erst die SS-Leute, jetzt die SA …«
    »Ich habe vielleicht einen veralteten Begriff vom Recht, Herr Oberst …«
    Es knackte in der Leitung. Der Oberst hatte aufgelegt. Heinrich Emanuel strich sich über seine Haare. Als er die Hand zurückzog, war sie naß von kaltem, klebrigem Schweiß.
    Er ging selbst zu den Stellen, wo er die SA-Leute gesammelt hatte. Schimpfen, Johlen, Beleidigungen, Drohungen, geschüttelte Fäuste und Spott empfingen ihn. Er ging durch alles hindurch wie durch einen Sumpf, der im Wege lag und überquert werden mußte.
    »Wachen abtreten!« sagte er laut. »Die Verbrecher sind frei!«
    »Das wirst du büßen, du Trottel!« schrie einer aus der SA-Menge.
    »Dich hängen se eines Tages uff!« brüllte ein anderer. »Judenknecht!« brüllte ein Chor. »Judenknecht!« Hauptmann Schütze verließ die Sammelstellen. Hinter sich hörte er das Splittern von Türen und Schaufenstern. Das Werk wurde fortgesetzt. Eine Familie, ein Mann, eine junge Frau mit einem vielleicht zweijährigen Kind auf dem Arm, rannten über die nachtdunkle Straße. Drei betrunkene SA-Männer hetzten sie, johlend, brüllend.
    »Die kleine Judensau wollen wir. Die Judensau!«
    Schütze blieb stehen. Die junge Frau verbarg sich zitternd hinter seinem Rücken. Sie drückte das Kind fest an ihre Brust. Ihr Gesicht war geschwollen. Man mußte sie geschlagen haben. Ihr Rock war an den Hüften zerrissen. Der Mann rannte weiter, irrsinnig vor Angst.
    Die drei SA-Männer blieben vor dem stummen Hauptmann stehen. Alkoholdunst wehte von ihnen her, vermischt mit dem scharfen Geruch durchgeschwitzten Lederzeuges.
    »Gib die Kleine raus, Kamerad!« schrie einer der SA-Männer. »Die kann noch drei großdeutsche Siegel vertragen.«
    Heinrich Emanuel Schütze blickte kurz zu den Soldaten, die ihn begleiteten.
    »Fertig!« kommandierte er. Es rasselte laut. Die Gewehre wurden durchgeladen. Durch die drei SA-Männer ging es wie ein Schlag. Sie starrten auf die Gewehrmündungen.
    »Bist du verrückt, Hauptmann?!« lallte einer. »Das ist eine Jüdin –«
    »Legt an!« kommandierte Schütze. Die Gewehre fuhren hoch. Die SA-Männer wurden plötzlich nüchtern. Sie drehten sich wortlos herum und gingen weg. Noch ein paarmal sahen sie zurück. Die Gewehre waren noch im Anschlag.
    Schütze wartete, bis die drei in der Dunkelheit untergetaucht waren. Dann drehte er sich aufatmend zu der jungen Frau um.
    »Laufen Sie«, sagte er. »Laufen Sie irgendwohin und verstecken Sie sich. Mehr kann ich für Sie nicht tun. Mehr –«, er schluckte, »mehr darf ich nicht –«
    »Gewehre ab!« kommandierte er dann, winkte mit dem Kopf und ging. Die Soldaten folgten ihm. Sie waren betreten. Ein Feldwebel holte Schütze ein und fragte leise:
    »Herr Hauptmann, durften wir

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