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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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denn das?«
    »Nein. Aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Das Verbotene scheint heute das Normale zu werden –«
    *
    Die Fäden in der Kopfplatzwunde waren gerade gezogen worden, als Hauptmann Schütze ins Krankenzimmer seines Sohnes trat.
    Er war vom Bahnhof gleich in die Klinik gefahren. Amelia wußte noch gar nicht, daß er in Berlin war. Heinrich Emanuel hatte es bewußt so getan. Er wollte mit seinem Sohn allein sprechen.
    »Vater –«, sagte Christian-Siegbert und lächelte. Er lag ganz flach im Bett. Die schwere Gehirnerschütterung zwang ihn, noch sechs Wochen zu liegen. Täglich bekam er Traubenzuckerinjektionen. Sein Puls und der Blutdruck waren abnorm niedrig. »Du brauchst dich nicht aufzuregen. Mir geht es gut.«
    »Das freut mich, mein Junge.« Er zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich. Der Arzt, der die Fäden gezogen hatte, beugte sich von hinten an Schützes Ohr.
    »Höchstens zwanzig Minuten, Herr Hauptmann –«
    Schütze nickte. Er nahm die schmalen, blassen Hände seines Jungen und drückte und streichelte sie. Es waren Zärtlichkeiten, die Christian nie erlebt hatte. Er konnte sich nicht erinnern, daß sein korrekter, immer etwas steifer Vater ihn zärtlich gestreichelt hatte.
    »Mutter haben sie also nichts getan?« fragte Heinrich Emanuel. »Du hast sie tapfer beschützt, mein Junge –«
    »Sie haben mich einfach zusammengeschlagen, Vater. Und dabei habe ich nur gefragt, was sie wollten –«
    »Wir kommen in eine Zeit, mein Junge, in der wir nicht mehr viel zu fragen haben.«
    »Sie haben einfach unsere Tür aufgetreten –«
    Schütze nickte. »Das ist der neue Rhythmus.«
    »Ich werde aus der HJ austreten, aus allem …«
    »Das wirst du nicht.« Schütze sah in das fahle Gesicht Christians. »Du willst doch dein Abitur machen –«
    »Ja, Papa.«
    »Und Offizier willst du werden –«
    »Du weißt es doch, Vater.«
    »Siehst du. Wenn ich mich nicht mehr richtig auskenne in dieser neuen Welt, so ist es deshalb, weil ich ein alter knorriger Baum bin. Von allen Seiten haben mich in den letzten Jahrzehnten die Winde umweht … nun plötzlich weht er um die Wurzel. Das kenne ich nicht, und das begreife ich nicht. Aber du bist jung, du kannst dich in das Neue hineinleben, du hast noch die Kraft und den Idealismus, aus dem, was du siehst, zu lernen. Du bist die neue Zeit … was können sie denn erreichen, wenn sie die Jugend nicht haben? In dir müssen die Ideen von Recht und Freiheit leben, von Menschenwürde und Frieden. In dir und Millionen anderer junger Menschen. Denn ihr schafft einmal die neue Welt … wir Alten halten euch nur den Bügel, damit ihr in den Sattel klettern könnt. Darum mußt du dabeibleiben, mein Junge. Du mußt wach bleiben, sehen lernen, kritikfähig werden. Du mußt mitgestalten, du und deine Kameraden. Noch nimmt euch vieles gefangen, was ihr seht … die Fahnen, Standarten, Trommeln, Fanfaren, die Worte Hitlers und die Taten, die ihnen folgen. Was dahintersteht, das seht ihr noch nicht. Aber einmal, dann bemerkt ihr es … und dann müßt ihr die Kraft haben, daraus zu lernen und es besser zu machen … besser als wir –«
    Christian lächelte und drückte die Hand des Vaters. »Ich verstehe Papa … aber die anderen verstehen es noch nicht.«
    »Es kommt noch, mein Junge. Es kommt noch. Ein Kaiserreich ist zu Ende gegangen … man kann ein neues Reich nicht über Nacht schaffen. Es leben noch zu viel von Gestern, und ihre Erinnerungen sind glücklicher als die Gegenwart …«
    »Aber das Kaiserreich war morsch, das mußt du zugeben, Vater.«
    »Aber in ihm war der Mensch wirklich noch ein Mensch. Das ist es, was wir Alten von euch einmal erwarten: Schafft uns den Menschen wieder –«
    Durch einen Spalt der Tür sah eine Schwester. Sie nickte Hauptmann Schütze zu. Zwanzig Minuten … Heinrich Emanuel erhob sich. Christian umklammerte die Hände seines Vaters.
    »Du gehst schon?«
    »Ich muß. Aber ich komme morgen wieder.«
    »Bleib noch etwas, Vater. Bitte, bitte. Nie hast du so zu mir gesprochen wie heute. Ich habe dich gar nicht gekannt, Vater.«
    »Wir werden jetzt viel über solche Dinge sprechen. Ich verspreche es dir.«
    Auf dem Flur traf Hauptmann Schütze den behandelnden Arzt.
    »Wie lange wird er noch in der Klinik bleiben?«
    »Bestimmt sechs Wochen.« Der Arzt sah nachdenklich auf die Kurven des Krankenblattes, das er in der Hand hielt. »So ein Unfall ist nicht leichtzunehmen.«
    »Unfall?« Hauptmann Schütze biß sich auf die Unterlippe.

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