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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wandte sich ab und ging zu seinem Pferd. »Ich kann es auch nicht begreifen –«
    *
    In Falkenau erreichte ihn die Beschwerde des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Sie war unterschrieben von SS-Gruppenführer Heydrich.
    Heinrich Emanuel Schütze wurde zum Divisionskommandeur bestellt. Er war ein alter Weltkriegsoffizier, hatte vor Verdun gelegen und kannte den Onkel Eberhard v. Perritz von Münster her.
    »Sie hatten einen Zusammenstoß mit der SS, Herr Hauptmann?« fragte der Generalmajor. Schütze drückte das Kinn an den Uniformkragen.
    »Ich habe gesehen, wie man Männer, Frauen und sogar Kinder einfach deportierte. Nur, weil es Sozis und Kommunisten waren. Und man wollte mir befehlen, diesem Unrecht Hilfe zu leisten. Ich sollte die Leute transportieren und bewachen …«
    »Und Sie haben sich geweigert?«
    »Ich bin Soldat und Offizier, Herr General … aber kein Verbrechergehilfe.«
    Der Divisionskommandeur sah auf das Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes. »… bitten wir Sie, den Hauptmann Heinrich Emanuel Schütze der Gestapo zu überstellen wegen zersetzender Tätigkeit und Schädigung des deutschen Ansehens …«
    »Sie können gehen«, sagte der Generalmajor fest. »Sie erfüllen wie bisher Ihre Pflicht und die Befehle, die man Ihnen von uns aus gibt.« Er beugte sich über das Schreiben Heydrichs und schrieb an den Rand: »Erledigt. Bereits von uns disziplinarisch bestraft …«
    Dann sah er auf und lächelte Hauptmann Schütze zu. »Ich habe für Sie eine schöne Aufgabe. Unsere Division wird beim nächsten Parteitag in Nürnberg eine Manöverübung wie im Ernstfalle abhalten. Vor den Augen des Führers. Sie werden ein Bataillon übernehmen, Herr Hauptmann.«
    »Im Manöver? Vor dem Führer?«
    »Ihr Onkel erzählte mir da eine schöne Geschichte von einem Kaisermanöver. Habe selten so gelacht. Sie sind ja ein Manöverfachmann, was? Im übrigen darf ich Ihnen verraten, daß dieses Manöver Ihr Sprung zum Major ist. Endlich, was?«
    Heinrich Emanuel Schütze wußte kaum noch, wie er aus dem Zimmer des Generals gekommen war. Erst auf der Straße überfiel es ihn mit elementarer Gewalt. Major … Manöver vor Hitler … endlich, endlich Stabsoffizier …
    Er sah über die Hügellandschaft von Falkenau. Die Abendsonne war wie ein roter Ball, der über die Kuppen tanzte. Die Felder und Baumspitzen waren rot. Wie Blut floß die Farbe über das Land, als die Sonne tiefer sank. Wie Blut …
    Da rannte Hauptmann Schütze in sein Quartier, schloß sich ein und vergrub den Kopf in beide Hände. Er sah die Menschen vor sich, wie sie auf ihren Abtransport warteten. »Das sind keine Menschen!« hatte der SS-Sturmbannführer Harris geschrien. »Das sind Kommunisten …« O Gott. O mein Gott …
    »Liebe Amelia«, schrieb Heinrich Amelia in dieser Nacht mit zitternder Feder. »Zum erstenmal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich tun soll. Zum erstenmal bin ich ratlos, ich habe einen Eid geschworen, und unter diesem Eid geschehen Dinge, vor denen die Himmel aufreißen und uns alle verschlingen müßten. Ich kann es Dir nicht schreiben. Es wäre zu schrecklich, wenn es die Kinder lesen würden. Ich will es Dir erzählen, wenn ich wieder bei Dir bin … aber auch Du wirst keinen Rat wissen, weil es kein Entrinnen mehr gibt …«
    Am Morgen las er den Brief noch einmal durch. Dann zerriß er ihn. Nicht, weil er plötzlich anders dachte, sondern weil er Amelia vor dem Grauen verschonen wollte.
    Am Mittag dieses Tages hörte er im Radio den triumphalen Einzug Hitlers in Eger. Der neuernannte Gauleiter Konrad Henlein begrüßte ihn mit den Worten: »Dieser Tag ist der glücklichste unseres Lebens …«
    Heinrich Emanuel Schütze schaltete das Radio ab. Ihm war übel. Er sah die Menschen auf den Lastwagen vor sich, das Mädchen mit der zerfetzten Bluse, die Augen voller Angst. »Wo ist Gott?« schrie SS-Führer Harris. »Wo ist er denn?«
    Aus dem Nebenzimmer schallte laute Marschmusik. Der Egerländer Marsch, der Badenweiler Marsch. Dazwischen helles Geschrei, Jubel, Massenchöre. Heil! Heil! Heil!
    Die Stimme eines Sprechers: »Hochaufgerichtet, mit stolzen Augen, fährt unser herrlicher Führer durch die jubelnde Menge. Im Nu ist sein Wagen übersät mit Blumensträußen … ja, hinter seinem Wagen fallen die glücklichen, befreiten Menschen auf die Erde und küssen die Spuren seiner Reifen. Das ist echte Liebe zum Führer, das ist –«
    Schütze rannte an die dünne Wand und hieb mit beiden Fäusten dagegen.

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