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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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des letzten Käufers, eines Fabrikanten bei Wiesbaden, zum Auslieferungslager.
    Die Polizei war schon dort. Sie wartete seit drei Stunden auf Heinrich Emanuel Schütze.
    Wer auf frischer Tat festgesetzt wird, braucht nicht mehr zu leugnen. Mit Übelkeit im Magen und einer Verteidigungsrede im Hirn ließ sich Schütze ins Frankfurter Polizeipräsidium einliefern. Er bekam eine Zelle angewiesen, in der bereits zehn Festgenommene saßen. Schieber, Zuhälter, Einbrecher, ein Notzüchter – der später aus seinem Leben erzählte – und zwei Raufbolde.
    Heinrich Emanuel wurde mit Hallo begrüßt. Anscheinend war es eine lustige Zelle. Der Zuhälter hob die Hand, ehe sich Schütze vorstellen konnte, und rief:
    »Kein Wort! Hier wird geraten! Jungs – was könnte der Bruder sein?« Er schob Schütze in die Mitte der Zelle, stellte ihn unter die triste, nackte Glühbirne, die von der Decke an einem Kabel pendelte, und rief ihn aus wie einen preisgekrönten Stier. »Weiße Haare. Fortgeschrittenes Alter. Straffe Haltung. Gute Kleider!« Er drehte die schlaffen Hände Schützes herum und besah sich die Handflächen. »Keine Schwielen. Haut zart wie ein Kinderpopo. Na – was ist er?«
    Der Notzüchter schnalzte mit der Zunge. »Vielleicht 'n kleiner Kinderfreund? Guter Onkel, was? So 'ne Zwölfjährige kann schon Spaß machen, haha!«
    »Meine Herren!« sagte Schütze angewidert und wandte sich ab. Er ging in die Ecke und setzte sich auf einen alten Holzschemel.
    »Ich tippe auf harmlosen Makler!« rief einer.
    »Nein! Die Sanften sind die Schlimmsten. Sicherlich hat er seine Olle umgelegt.«
    »Wir werden's gleich haben. Wer recht hatte, bekommt drei Kippen!« Der Zuhälter trat vor Heinrich Emanuel und klopfte ihm auf die Schulter. »Na, Alterchen, nun sag mal, warum du hier bist.« Er prüfte Schütze noch einmal kritisch. »Wie 'n Schwuler siehste auch nicht aus.« Das war ein fachmännisches Urteil.
    »Lassen Sie mich in Ruhe!« sagte Schütze laut.
    »Nun sei mal nicht so, Opa. Sind ja unter uns. Guck dir den Willi da an. Der hat's auf vierzehn Vergewaltigungen gebracht. Brauchst dich nicht zu schämen.«
    »Ich bin Oberstleutnant a.D.!« sagte Schütze laut. »Und jetzt gehen Sie …«
    In der großen Zelle war es plötzlich still. Die zehn starrten den weißhaarigen Mann in der Ecke an. Dann ging der Zuhälter mit großen Schritten zur Tür und trommelte mit beiden Fäusten dagegen. Er hieb solange, bis draußen die Schlüssel klirrten und drei Polizisten mit Knüppeln die Tür öffneten.
    »Was ist los?!« brüllte einer von ihnen.
    »Eine Beschwerde!« schrie der Zuhälter zurück. »Wir sind hier alles ehrliche Ganoven! Zu dem, was wir gemacht haben, stehen wir! Aber wir wehren uns dagegen, zusammen mit einem Offizier eingesperrt zu werden! Das haben wir nicht verdient! Wir verlangen, daß der Kerl in eine andere Zelle kommt!«
    »Ihr seid wohl völlig idiotisch?!«
    Die Tür krachte zu. Zitternd saß Heinrich Emanuel Schütze auf seinem Schemel in der dunklen Ecke. Der Haß, der ihm entgegenschrie, nur, weil er Offizier gewesen war, machte ihn ängstlich. Was konnte er dafür, daß man den Krieg verloren hatte? War es seine alleinige Schuld? War es überhaupt eine Schuld, eine Uniform getragen und ein Kommando gegeben zu haben, dessen Sinn wiederum ein anderer, höher Gestellter befahl? War es ein Verbrechen, dreiunddreißig Jahre lang dem Vaterland gedient zu haben, in all der Zeit, einem halben Menschenalter lang, nichts anderes gekannt zu haben als Gehorchen und Dienen, kein Privatleben, nur Kasernen und Übungsplätze, muffige Schreibstuben oder lehmige Schützengräben? War das eine Schande, daß man sich von ihm abwandte, daß sich Verbrecher wehrten, in einer Zelle mit ihm zu sein?
    Heinrich Emanuel Schütze würgte es im Hals. Er lehnte den Kopf weit zurück und legte ihn an die Mauer. Die Glühbirne pendelte nackt von der Decke. Er starrte in das trübe Licht, mit großen, unwissenden Kinderaugen. Die anderen waren von ihm abgerückt. Sie saßen auf den vier Betten, eine zusammengeballte Masse Feindschaft gegen den einsamen alten Mann in der Ecke.
    Ich habe doch nur meine Pflicht getan, dachte Schütze. Ist es jetzt schon ein Verbrechen, treu zu sein? Bestraft man jetzt Gehorsam? Sind wir so weit gekommen, die Ehre als einen Dreck zu betrachten?
    Er dachte an die Generale Keitel und Jodl, die man eines Verbrechens anklagte, das jeder General auf sich nimmt, wenn er einen Krieg führt. In Nürnberg saß

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