Manöver im Herbst
der internationale Kriegsgerichtshof der Sieger und sollte verurteilen, was zum Leben Keitels und Jodls ebenso gehörte wie zum Leben Eisenhowers, Montgomerys oder McArthurs: Gehorsam, Kriegsführung und Sieg als Endziel.
Die einen hatten gewonnen und saßen nun zu Gericht über das, womit sie den Krieg gewonnen hatten. Nur sollte die Schuld über die anderen kommen. Wehe den Besiegten!
Man schrieb das Jahr 1946.
Ein unchristliches Jahr … trotzdem man gerade jetzt immer so viel vom Christentum sprach.
Am Morgen gegen 10 Uhr wurde Schütze von der Gemeinschaft der zehn Ganoven erlöst. Als ersten holte man ihn zum Verhör. Das erzeugte neue Empörung in der Zelle.
»Ich denke, hier geht's der Reihe nach?« schrie der Notzüchter. »Aber nein …, der Herr Offizier kommt zuerst. Selbst im Kasten gibt's Standesunterschiede, was? Ihr Saukerle! Leckt dem Herrn Oberstleutnant doch den Hintern, ihr Schweine!«
Erschöpft, übermüdet saß Heinrich Emanuel auf dem wackeligen Stuhl vor dem verhörenden Kriminalkommissar. Er hatte die Nacht über nicht geschlafen, aus Angst, die zehn Zellennachbarn könnten ihn umbringen, erwürgen, ersticken. Er hatte es ihnen zugetraut, wenn er die Blicke sah, mit denen sie ihn musterten. Wie einen Neger in den Südstaaten, der eine weiße Frau angesprochen hatte und nun unter einem weitausladenden Ast stand, die Schlinge um dem zitternden, schwarzen Hals.
»Was haben Sie sich eigentlich gedacht, Herr Schütze?« Der Kommissar blätterte in den Papieren. »Oberstleutnant, zeitweise im Generalstab. Nie vorbestraft. Ein Onkel von Ihnen ein Opfer des Nationalsozialismus … Und dann gehen Sie hin und verscheuern eine Feldküche. Wußten Sie, daß man diese Küche vom ›Sammelplatz von Wehrmachtsgut‹ in Bayern geklaut hatte?«
»Nein.« Schütze wischte sich über die müden Augen.
»Wie kamen Sie zu dieser Feldküche?«
»Über einen Mittelsmann.«
»Name? Anschrift?«
»Unbekannt.« Schütze sagte es flott daher. Der Kommissar glaubte es trotzdem nicht, er hatte auch nichts anderes erwartet. Aber man muß solch unsinnige Fragen stellen. Sie gehören eben in das Schema eines Verhörs.
»Sie müssen doch mit dem Mann in Verbindung bleiben. Wo sollten Sie das Geld abliefern?«
»In der Ohio-Bar. Wir wollten uns übermorgen dort treffen.«
Der Kommissar nickte. Immer das gleiche. Treffpunkt: ein Lokal. Der große Unbekannte.
»Wissen Sie, daß wir auf die Spur durch eine Anzeige gekommen sind? Eine anonyme Anzeige, die genau Datum, Uhrzeit und Ort angab?« Der Kommissar beugte sich zu Schütze vor. »Sie sind ein Säugling im Maklergeschäft, ich sehe es Ihnen an, Herr Oberstleutnant. Sie sollten nicht Ihre Auftraggeber decken. Wir kennen die Tricks dieser Brüder … bevor sie die sogenannte ›Provision‹ auszahlen, lassen sie den kleinen Komplizen anonym hochgehen. In der Fachsprache nennt man das ›trampeln‹. Man hat Sie ganz schön getrampelt, Herr Oberstleutnant.«
»Das … das erscheint mir unmöglich«, stotterte Schütze. Nie, dachte er. Nie hat der Kamerad Hauptmann mich angezeigt, um die 85.500 Mark Provision zu sparen. So gemein ist kein ehemaliger Offizier. Auch ohne Uniform haben wir die Ehre in uns. Unsere Erziehung, unsere Lebenstradition verpflichtet uns dazu. Nie kann das wahr sein. Es ist ein übler Trick, mich zum sprechen zu bringen.
Der Kommissar schien die Gedanken Schützes zu lesen. Er lehnte sich zurück. »Sie glauben mir nicht«, sagte er bedauernd. »Schade. Dann müssen Sie allein das Risiko tragen. So wären Sie nur ein kleiner Mitläufer gewesen.« Er klopfte mit dem Bleistift auf die Tischplatte. »Sie haben also die Feldküche zu einem Wahnsinnspreis angeboten und verkauft, trotzdem Sie wußten, daß –«
»Halt.« Schütze hob die Hand. Der Kommissar schob verwundert die Brauen hoch. »Bitte?«
»Sie unterstellen mir hier etwas, Herr Kommissar.«
»Ach nein.«
»Ich habe die Feldküche weder verkauft noch Geld kassiert. Ich habe sie im Auftrage meines Auftraggebers nur sicherstellen müssen. Ich habe eine Zugmaschine suchen müssen … die Fabrik, die die Feldküche holen wollte, hatte eine … und dann sollte die Feldküche nach Frankfurt gebracht werden. Ich hatte nur die Aufgabe, den Transport in die Wege zu leiten. Von einem Verkauf weiß ich gar nichts.«
»Da hört doch alles auf!« Der Kommissar warf den Bleistift auf den Tisch. Er fiel auf den Boden und zerbrach. Das war falsch, denn Bleistifte waren kontingentiert. »Sie
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