Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
einflußreiche Verwandschaft hinter sich. Das ist etwas, was man nie vergessen und überhaupt nie unterschätzen soll.
    Von diesem Tage an hatte Heinrich Emanuel mehr Zeit. Er besichtigte mit seiner jungen Frau die Gestüte von Trakehnen, und als die ersten Sonnenstrahlen den nahen Frühling ankündeten, fuhren sie hinaus in die Rominter Heide, nahmen an Jagden teil und kamen in das Leben der Landjunker hinein. Es gefiel ihnen so gut, daß sie einige Gewohnheiten abguckten und nach Goldap importierten: Die etwas schnarrende Aussprache des Hausherrn, die vornehme Zurückhaltung der Hausfrau, das Bewußtsein, daß Deutschland sich nach Osten ausdehnen müsse und das Ordensrittertum nicht gestorben sei, die Verachtung dem östlichen Menschen gegenüber und das deutlich zur Schau getragene Bewußtsein, daß es in Deutschland überhaupt nur zwei Garanten des Deutschtums gäbe: Die Industrie an der Ruhr und das Junkertum in Ostpreußen, Pommern und angrenzenden Gebieten.
    Es kam der Mai 1914. Die Rominter Heide war übersät mit Blüten. Das helle Grün der Birken stach in den zartblauen Himmel. Baron v. Perritz war zu Besuch gekommen. Er hatte einige Nachrichten mitgebracht. Petermann war zum Oberleutnant befördert und versetzt worden, Hauptmann Stroy hatte sich kompromittiert und eine siebzehnjährige Klempnerstochter heiraten müssen. Es schwebte ein Verfahren zu seiner Zwangspensionierung. Vom Dienst war er suspendiert. Opa Sulzmann hatte 10.000 Mark für ein Waisenhaus gestiftet und wartete auf seinen Kommerzienrattitel. Außerdem hatte er in Oppeln und in Brieg eine Filiale gegründet. Eine Diktatur der Sulzmann-Schlachterläden über Schlesien lag in der Luft.
    Am 28. Juni 1914 flatterten auch in Goldap die Extrablätter durch die Straßen und über die Familientische.
    Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet.
    Erklärt Österreich den Krieg an Serbien?
    Was werden Frankreich, Rußland und England tun? Bleibt Italien neutral?
    Vor allem aber: Was tut der Kaiser? Kommt er seinem Waffenbruder Franz Josef zu Hilfe? Gibt es Krieg in Deutschland?
    Nachdenklich sah Heinrich Emanuel auf die Straße. Dort marschierten zehn Goldaper Jungen in Papierhelmen und mit geschulterten Holzgewehren durch die sonnenhellen Straßen. Ihre grellen Kinderstimmen jubelten in den friedlichen Frühling hinein: Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen – sterben wie ein tapfrer Held …
    An den Stammtischen wurden mit Biergläsern Armeen hin- und hergeschoben. Die Bärenfanggläser ersetzten die Reiterei. Bierfilze markierten die Artillerie.
    In den Offizierskasinos wurden Pläne an die Wand gehängt, große Sandkästen wurden gebaut und mit taktischen Zeichen gespickt.
    Im Reichstag, in der Presse, im Industrieklub, auf der Straße, überall erfaßte die Menschen ein Taumel. Eine Begeisterung rollte von der Maas bis zur Memel. Es gab keinen Deutschen, der nicht siegte. Theoretisch.
    Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich den Krieg an Serbien. Das österreichische Ultimatum war abgelehnt worden.
    Mit dem Eintritt der Donaumonarchie in den Krieg marschierte auch das deutsche Heer. Die Mobilmachung war ein Volksfest. Mit Blumensträußchen am Helm, in den Gewehrmündungen, am Koppel, auf der Brust marschierten die ersten Truppenverbände zu den Ausgangsstellungen. Die Reservisten belagerten die Züge. Singend zogen sie in die Kasernen ein. Die Frauen und Mädchen winkten und rannten neben ihnen her, bewarfen sie mit Blumen und Schokolade und vaterländischen Postkarten, auf denen ein deutscher Militärstiefel gezeigt war, der den russischen Bären in den Staub trat und zermalmte.
    »In sechs Wochen sehen wir uns wieder«, sagte auch Heinrich Emanuel Schütze zu seiner weinenden Frau Amelia. Daß sie weinte, wo alles jubelte, berührte ihn unangenehm. Eine Offiziersfrau hat immer Haltung zu bewahren, dachte er. Schließlich ist es unser Beruf, zu siegen. »Frankreich wird sich wundern«, sagte er als Trost und streichelte Amelias braune, lange Haare. »Wir werden ihren rechten Flügel aufrollen. So wie es der General v. Schlieffen gesagt hat.«
    Unten auf der Straße marschierte eine Kolonne Reservisten vorbei. »Eine jede Kugel die trifft ja nicht …« tönte es zu ihnen hinauf. Heinrich Emanuel küßte Amelia auf die Stirn.
    »Hörst du's … nicht jede Kugel –«
    Sie legte schnell ihre Hand auf seinen Mund. In ihren Augen stand nackte Angst.
    »Aber die, die treffen … und wenn du es bist …«
    »Deutschland hat noch nie um

Weitere Kostenlose Bücher