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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und vorwärtsgetriebenen Schreienden bestand, die dem Tod entgegenrannten und nicht wußten, warum sie es taten.
    Um die Deutschen zu vertreiben, die auch nicht wußten, warum sie in der Champagne oder bei Ypern lagen, warum bei Langemarck Tausende Studenten mit dem Lied ›Deutschland, Deutschland über alles‹ sich in den Kugelregen warfen und jämmerlich für ein Nichts, – für ihre Begeisterung, verbluteten? Für die Erfüllung eines Bündnisses? Für eine europäische Politik? Für die Revanche von 1871?
    Dem Bauern in der Provence war es gleichgültig – er wollte ernten … und starb bei Courémont. Der Stahlarbeiter von Dijon wollte seinen Pinard trinken und seine Kinder großziehen … und wurde bei Courémont zerschossen. Und der Fischer von der Bretagne wollte seinen Fischkutter durch die Wellen des Atlantik steuern … und lag jetzt schreiend im Schnee, mit zerfetztem Oberschenkel und verblutete.
    »Feuer!« schrie Heinrich Emanuel Schütze. »Feuer!« Er sah, wie die Angriffslinien stockten, wie die Franzosen sich in den Schnee warfen. Vor seinem Grabenabschnitt stockte der Krieg. Das machte Leutnant Schütze zu einem Vulkan.
    »Bajonette pflanzt auf!« gab er durch. Dann hob er die Hand. Er dachte an das Kaisermanöver 1913 … damals hatte er den Kaiser in Bedrängnis gebracht, weil er angriff, statt sich angreifen zu lassen. Damals hatte er in Gruppen stürmen lassen, kleine Feuerballen, die sich in die gegnerischen Linien hineinbohrten.
    »Durchgeben!« schrie er. »In Gruppen von vier Mann mit sechs Metern Abstand zum Gegenangriff, wenn ich Arm hebe und Faust in die Luft stoße.«
    Er wartete drei Minuten, bis der Befehl durchgelaufen sein mußte. Noch einmal blickte er auf die französischen Truppen, die wieder aufsprangen und langsamer auf den Graben zugelaufen kamen. Da stieß er den Arm hoch, seine Faust drohte fast … aus dem Graben kletterten die deutschen Infanteristen, schwangen sich über den Erdrand und liefen in kleinen Gruppen, sich hinwerfend, feuernd, wieder aufspringend und schon im Laufen erneut schießend, auf die verblüfften Franzosen zu.
    Heinrich Emanuel lief durch den Schnee, mit aufgerissenem Mund, mit starren Augen, den Degen vor sich herstoßend. »Hurra!« brüllte er in die kalte Winterluft. »Hurra!«
    Um ihn herum gellte der Ruf hundertstimmig wider. Neben ihm schrie jemand auf … er griff mit den Händen um sich, als suche er Halt, dann stürzte er mit dem Gesicht in den tiefen Schnee und hieb mit den Beinen schrecklich in den aufwirbelnden weißen Brei.
    Heinrich Emanuel stutzte einen Augenblick. Es war sein Feldwebel, der dalag. Der Helm war ihm weggerollt … wo sein Kopf sich in den Schnee gebohrt hatte, wurden die weißen Flocken rot.
    Leutnant Schütze wurde es übel. Er riß sich von diesem Anblick weg, rannte weiter, stolpernd, den Degen in die Luft streckend, keuchend.
    »Hurra!« schrie er heiser. »Hurra!«
    Er stürzte über einen toten Franzosen, fiel auf ihn und griff in Blut. Ekel würgte ihn … um ihn herum schlugen Granaten ein. Die leichte französische Artillerie legte ein Sperrfeuer.
    Heinrich Emanuel richtete sich auf den Knien auf. Seine Kompanie lag im Niemandsland. Die Franzosen hatten sich in ihre Ausgangsstellungen zurückgezogen. Sie konnten nicht mehr vorstoßen, sie kamen ins eigene Artilleriefeuer.
    Leutnant Schütze winkte. Zurück. Sammeln im Graben. Der Angriff war abgeschlagen. Einen feindlichen Graben zu erobern, dazu hatte er keinen Befehl.
    Als die Kompanie wieder im eigenen Graben stand, schickte Heinrich Emanuel einen Melder zum Bataillon zurück.
    Französischer Angriff um 14.37 abgeschlagen. Im zügigen Gegenangriff Gegner aus Niemandsland zurückgetrieben. Große Feindverluste. Eigene Verluste 24 Tote, 19 Verletzte.
    Am 20. März 1915 erhielt Heinrich Emanuel Schütze das EK II, seine Beförderung zum Oberleutnant und dreißig Mann Ersatz. Sein Gegenangriff hatte, ohne daß er es wußte, die Flanken des Regimentes entlastet, in die der Franzose bereits eingebrochen war.
    Sein Name war im ganzen Abschnitt bekannt. Bei der Division wurde ein Sonderaktenstück über ihn angelegt. Die Kompaniechefs der Nachbarkompanien und der Artillerie kamen zu ihm zu Besuch und saßen in seinem Unterstand, tranken Rum mit Tee und ließen sich den Gegenstoß erzählen. »24 Tote?« sagte einer von ihnen. »Das ist viel …«
    Heinrich Emanuel sah den Sprecher tadelnd an. »Man darf bei großen Dingen nicht so kleinlich sein«, sagte er.

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