Manöver im Herbst
überreicht hatte.
Versetzt nach Ostpreußen. Nach Goldap.
Zum Infanterieregiment Graf Dönhoff, 7. Ostpreußisches Rgt. Nr. 44. In die 3. Kompanie.
Ein Kommando an der Grenze Rußlands. Im Herzen von Trakehnen.
Heinrich Emanuel fuhr hinaus nach Perritzau. Baron v. Perritz nickte weise, als er den Befehl sah. »Dort bist du weit weg, mein Sohn«, sagte er nachdenklich. »Und wenn es Krieg mit Rußland gibt, bist du auch gleich im richtigen Schützengraben. Das nennt man preußische Weitsicht.«
»Ich werde mich dagegen wehren!« rief Leutnant Schütze.
»Das ist sinnlos.«
»Ich bin im Recht.«
»Als wenn es darauf ankäme«, v. Perritz faltete den Versetzungsbefehl zusammen und gab ihn Schütze zurück. »Du bist in erster Linie Soldat. In zweiter Linie Soldat. In der dritten bis zehnten Linie immer noch Soldat. Und dann erst bist du jemand, der an ein persönliches Recht denken kann. Aber den Abstieg durch zehn Linien hält niemand durch, der eine Uniform trägt.«
»Und das sagst du?« Heinrich Emanuel sah seinen zukünftigen Schwiegervater fassungslos an. »Du redest ja wie ein Pazifist …«
»Das Wort kommt von pax. Frieden. Es ist nicht das übelste Wort in der deutschen Sprache. Aber es gibt Worte, die man vergißt, wenn der ruhende Säbel an der Seite zu schwer wird und gerasselt und geschwungen werden will. Fahr nach Goldap. Wehr dich nicht. Es gibt noch einsamere Kommandos.«
»Ich werde ein Gnadengesuch einreichen.«
»Das steht dir frei. Aber es paßt nicht zu uns, Heinrich. Dein Vater wird genauso denken.«
»Sicherlich.«
Die Versetzung erfolgte zum 15. Januar 1914. Weihnachten bereits heirateten Amelia v. Perritz und Leutnant Schütze. Hauptmann Stroy zog sich aus der Verpflichtung, zu gratulieren, indem er über die Feiertage in Urlaub fuhr und eine Anzeige ihn nicht mehr erreichte.
Über einen bekannten Gutsbesitzer in Trakehnen bekam Schütze eine Wohnung in Goldap. Am 13. Januar mieteten sie einen Waggon der Eisenbahn, luden ihre Möbel und ihre Zukunftshoffnungen und alles, was sie für den neuen Haushalt angeschafft und geschenkt bekommen hatten, in Strohballen und fuhren quer durch Deutschland nach Ostpreußen.
Sie kamen in Goldap an bei heulendem Schneesturm. Fast einen Meter hoch lag der Schnee über dem Land. Die Bauernhäuser waren Hügel, aus denen nur der Schornstein rauchte. Die Wälder ächzten. Schon auf dem Bahnhof erfuhren sie, daß von Rußland herüber, auf der Suche nach Futter, Wolfsrudel eingebrochen seien.
Frierend, aneinandergepreßt, standen Amelia und Heinrich Emanuel hinter der Scheibe des Bahnhofwartesaals und warteten auf einen geschlossenen Wagen, der sie in die Stadt fuhr.
Amelia lächelte schwach, als er sie ansah. »Es ist schön hier«, sagte sie tapfer.
Er wußte, daß sie log, und er lächelte bitter zurück und legte den Arm um ihre zitternden Schultern.
»Laß erst den Frühling kommen – dann sind die Pferdeherden auf den Weiden, die Seen blinken in der Sonne und spiegeln den blauen Himmel, das Heidekraut ist wie ein violetter Teppich … und wir sind zusammen.«
Sie nickte mehrmals und starrte in den Schneesturm. In ihm erstarb alles Leben. Sie wußten, daß vorerst kein Wagen kommen konnte, um sie abzuholen. Der Sturm würde die Pferde in die Gräben wehen.
Vier Stunden warteten sie, bis ein Fuhrwerk durch den nachlassenden Sturm zu ihnen kam. Es war der 15. Januar, nachmittags um halb vier Uhr.
Um zehn Uhr vormittags sollte sich Leutnant Schütze in der Kaserne melden.
Bevor sie ins Hotel fuhren, in dem sie wohnen mußten, bis die Wohnung eingerichtet war, ließen sie sich zur Kaserne fahren. Während Amelia im überheizten Raum der Kantine wartete, meldete sich Heinrich Emanuel bei seinem neuen Kompaniechef. Es war ein dicker, rotgesichtiger Hauptmann mit etwas schräggestellten Augen und einem halben Mongolenbart. Er sah ostentativ auf seine Uhr und verglich die Zeit mit dem Versetzungsbefehl.
»Schon da, Herr Leutnant?« brüllte er plötzlich. »Kennt man in Schlesien keine Uhren?«
»Der Schneesturm, Herr Hauptmann.« Heinrich Emanuel stand wie ein Pfahl. Nur seine Augen flatterten. »Wir haben auf ein Fahrzeug warten müssen …«
»Was haben Sie?« brüllte der Hauptmann. »Ein preußischer Soldat wartet?!«
»Der Schneesturm, Herr Hauptmann –«
»Sie haben pünktlich hier zu sein, und wenn es Scheiße regnet!«
»Herr Hauptmann, meine Frau –«
»Haben Sie mich verstanden?!« schrie der Hauptmann. Seine schrägen
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