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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Champagne einströmten, erkältete sich Heinrich Emanuel an drei Flaschen zu eisigem Sekt den Magen und kam in ein Lazarett.
    So verpaßte er einen geschichtlichen Moment – das Halt an der Marne. Das ›Wunder‹ des Weltkrieges. Die plötzliche Enthüllung der deutschen Unfähigkeit, weiter zu denken als über einen gegebenen Befehl hinaus.
    Heinrich Emanuel Schütze hatte ein unerschöpfliches Thema bekommen. Als Schulungsoffizier zog er durch die Lazarette von Reims und der Champagne und hielt Vorträge über die Marneschlacht und die taktischen Erwägungen des deutschen Rückzuges.
    »Wir sind wie ein gespanntes Gummiband!« rief er volkstümlich den lauschenden Verwundeten zu. »Wir federn zurück und wir federn vor. Das ist die Taktik der Defensive.«
    Er glaubte es tatsächlich selbst.
    *
    März 1915.
    Winterschlacht in der Champagne.
    In dem kleinen Ort Courémont lagen sich Franzosen und Deutsche in schnell ausgeworfenen Schützengräben gegenüber. Die Fronten hatten sich stabilisiert, der Krieg war in die Erde gegangen. Statt des Vormarsches baute man Unterstände und eine tiefgestaffelte Verteidigungslinie. Der Rausch des Siegeslaufes, der in einer Woche in Paris enden sollte, war verflogen. Die in ihren Erdlöchern und Unterständen um kleine Blechöfen sitzenden und frierenden deutschen Infanteristen dachten nicht mehr an ihren Auszug im Juli 1914. Was mit Blumensträußchen und Jubel, mit Gesängen und vaterländischer Begeisterung begann, endete in Blut und bitterer Ernüchterung vor der Tatsache, daß zwar nicht jede Kugel, aber doch genug Kugeln ihre Ziele trafen und die Toten und schreienden Verwundeten wenig Trost empfanden, wenn man sie ›Helden für Kaiser und Vaterland‹ nannte.
    In Rußland ging der Krieg flotter weiter. Dort hatte Hindenburg die nach Ostpreußen eingebrochenen Russen bei Tannenberg vernichtend geschlagen. Eine ganze Armee, die 2. russische Masurenarmee, war vernichtet worden. Von allen Seiten strömten die deutschen Truppen in die Weite des östlichen Landes … Namen wie Mogilew, Nowo Georgiew, Ciechanow, Pultusk, Kowno kannte jeder Junge auf der Straße. Ein neues Spiel statt Ringelreihen oder Kästchenhüpfen kam auf: Deutschland gegen Rußland.
    Im übrigen wartete man aber auf den Frühling. Von ihm versprach man sich vieles. Alles. Neue Offensiven im Westen, neue Umklammerungen im Osten. Freikämpfung der österreichischen Waffenbrüder in den Karpaten.
    Auch Heinrich Emanuel gab dieser Hoffnung sichtbaren und lauten Ausdruck. »Wenn die Sonne wieder scheint, wenn es ›Kaiserwetter‹ gibt, siegen wir auch wieder.« Das war sein Kernsatz, mit dem er durch seinen Grabenabschnitt bei Courémont ging und seine Infanteristen um den bullernden Kanonenöfen in den Unterständen auch innerlich erwärmen wollte.
    Die Winterschlacht in der Champagne sah Leutnant Schütze in der ersten Linie. Nach Ausheilung seines Magenleidens ließ es sich nicht vermeiden, daß er bei den großen Ausfällen gerade an Offizieren eine Kompanie übernehmen mußte.
    Als er das erstemal durch ein Scherenfernrohr hinüber zu den französischen Gräben blickte und zum erstenmal den Feind sah – bisher hatte er ihn nur als Gefangene betrachten können, lange Kolonnen, die durch Reims marschiert waren –, ergriff ihn ein merkwürdiges Gefühl der Angst, vermischt mit vaterländischem Opfertum.
    Dann wurde sein Graben von französischer leichter und schwerer Artillerie beschossen. Eine Stunde lang krachte es um ihn herum, als wolle die Erde auseinanderbersten. Als die Einschläge verebbten, gellte der Ruf »Alarm!« durch die Gräben. Die Franzosen griffen an.
    Heinrich Emanuel stand am Grabenrand und starrte auf die durch den Schnee auf seine Kompanie zulaufenden Gestalten. Er sah die an den Knien umgeschlagenen langen Mäntel, die stumpf blinkenden, graublau gestrichenen Stahlhelme mit dem kleinen Bügel und der flammenden Granate über der Stirn, er starrte auf die wirbelnden Beine in den langen Wickelgamaschen, und ein den Atem abklemmendes Gefühl ergriff ihn und machte ihn zum Helden.
    »Feuer!« brüllte er. »Feuer!«
    Aus den deutschen Gräben knatterte es den französischen Schützenlinien entgegen. Zum erstenmal sah Heinrich Emanuel, wie Menschen vor seinen Augen starben. Wie sie die Arme hochwarfen, wie sie sich im Schnee wälzten und um sich schlugen, wie sie auf allen vieren wegkrochen, wie nackte Angst und Fanatismus vereint zugrunde gingen, wie die Welt nur noch aus Sterbenden

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