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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Krieg unverständlich. Was hat es für einen Sinn, ein Gelände voller Granatlöcher zu verteidigen?«
    Heinrich Emanuel trank sein Glas Wein leer. »Es geht darum, den Gegner durch verlorene Offensiven ausbluten zu lassen.«
    »Es bleibt nur zu fragen, wer mehr Blut dabei läßt.«
    »Man muß den Gegner ermüden.«
    »Wie wollen Sie ein Weltreich wie England oder Frankreich ermüden? Aus ihren Kolonien schaffen sie Hunderttausende heran. Und unsere Kolonien? Tsingtau, Togo, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwest-Afrika … alle sind sie weg. Nur Kamerun hält sich noch … eine einsame Insel in einem brandenden Meer. Irgendwie sehe ich schwarz, Herr Oberleutnant.«
    »Vertrauen wir auf den Kaiser«, sagte Heinrich Emanuel steif. »Sie sind ein kleiner Stabsarzt, ich ein winziger Oberleutnant. Was wissen wir? Welchen Weitblick haben wir?«
    »Vom Blau des Himmels bis zwei Meter unter die Erde … ich meine, das wäre genug, um vernünftig zu sein.« Stabsarzt Dr. Langwehr sah Oberleutnant Schütze kritisch an. »Sie wollen also wieder zur kämpfenden Truppe?«
    »Wenn ich voll kv bin –«
    »Das sind Sie. Aber irgenwie habe ich an Ihnen einen Narren gefressen. Verzeihen Sie … ich bin fast zwanzig Jahre älter als Sie. Theoretisch könnte ich Ihr Vater sein. Wenn ich Sie so in Ihrer gutsitzenden Offiziersuniform betrachte, jung, voller Zukunft und begabt mit einem unbedingten Gehorsam, dann sage ich mir, daß es eigentlich schade wäre, wenn in drei oder zehn Tagen in einem Granatloch in der Champagne Ihr Leben ein Ende findet. Nicht, daß es tausende andere junge Männer gibt, die ebenso schade für den Tod sind wie Sie … aber Sie sind für mich so etwas wie ein Prototyp. Haben Sie Ihre Frau schon mal betrogen?«
    Heinrich Emanuel stand auf. Er war beleidigt. »Ich bitte Sie, Herr Stabsarzt!«
    »Waren Sie schon einmal richtig besoffen? Nicht angeheitert – sinnlos besoffen.«
    »Nein.«
    »Ein Puff kennen Sie auch nicht –«
    »Ich muß doch sehr bitten, Herr Stabsarzt.«
    »Sie hatten keine Manöverliebchen? Sie sind nie nachts in Kammern eingestiegen? Sie haben nie in Ruhe hinter der Front eine schicke Französin ins Stroh gezogen? Geben Sie keine Antwort … ich kenne Sie. Sie haben auch als Junge nie einen Streich gemacht, was? Nie einen Frosch aufgeblasen? Nie Äpfel geklaut? Nie die Hose zerrissen? Nie mit Beulen und aufgeschlagenen Knien nach Hause gekommen? Nie Prügeleien gehabt? Nie an die Wand gemalt: ›Schuster Schmitz ist dof!‹? Nie dem Lehrer Kreide in die Tinte gesteckt? Nie auf der Straße in Papier gewickelte Hundescheiße als Bonbons verkauft? – Sie haben nur gelernt. Immer nur gelernt. Nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Heinrich Emanuel ziemlich konsterniert.
    »Und warum?«
    »Man lernt für das Leben –«
    »Und wirft dabei seine Jugend, das Schönste, was ein Mensch von der Natur geschenkt bekommt, einfach weg. Kerl – Sie haben ja bis heute noch nicht gelebt. Sie wissen ja gar nicht, was Jugend ist. Mit zweiundzwanzig Jahren sind Sie ein Greis. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie sich bei Ihrer Frau im Bett benehmen …«
    »Ich kann wohl gehen …«, sagte Oberleutnant Schütze laut. Seine Stimme bebte vor verhaltenem Zorn.
    »Bitte gehen Sie.« Stabsarzt Dr. Langwehr schob die Papiere Schützes in ein großes Kuvert. »Wenn Sie mein Sohn wären, würde ich zu Ihnen sagen: Sieh dir das Leben erst einmal an. Und einen Tritt in den Hintern würde ich Ihnen geben –«
    Wortlos verließ Oberleutnant Schütze das Krankenrevier. Er hatte einen Augenblick den Gedanken, sich bei der Division über den Stabsarzt zu beschweren. So spricht man nicht mit einem preußischen Offizier. Das ist eine Beleidigung der Uniform. Aber dann verwarf er seinen Zornesausbruch wieder und ging in sein Quartier.
    Drei Tage später reiste er ab nach Soustelle.
    Der bisherige Ortskommandant, ein alter Hauptmann der Reserve und Badewannenfabrikant aus Stuttgart, übergab Oberleutnant Schütze den Ort Soustelle im Schnellverfahren. Er hatte Ischias, sollte zu einer Auskurierung nach Bad Kissingen und war froh, der Langeweile des Vogesenörtchens entrinnen zu können.
    »Was Sie hier können, ist saufen«, sagte er nach der Übergabe der Kommandantur zu Heinrich Emanuel. »In Ihrem Alter kommen noch die Weiber dazu. Aber seien Sie vorsichtig – auch in Soustelle gibt's den Tripper.«
    Heinrich Emanuel wartete, bis der alte Hauptmann die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann sagte er laut, aus voller

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