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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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liefe ganz anders, wenn man Heinrich Emanuel anhören würde. Aber dorthin, wo sie hingehört, dringt ja keine Stimme.«
    Dort oben, in den Höhen der Kriegsführung, versagten auch die Sulzmannschen Pakete. Sie blieben irgendwo hängen – wo, das bekam Sulzmann nie heraus – und das Schweigen änderte sich nicht. Schließlich gab es Kommerzienrat Sulzmann auf. Er sah ein, daß man rote Streifen an den Uniformhosen nicht mit Würsten erkaufen konnte.
    Ab und zu wurde Oberleutnant Schütze verhört. Ein Offizier des Standortes Schweidnitz kam dann hinaus nach Perritzau und stellte seine Fragen. Wenn so merkwürdige Recherchen aufkamen wie: »Warum haben Sie nicht geschossen, als Sie angegriffen wurden?« oder »Hat man Ihnen Ihre Pistole abgenommen, nach der Überwältigung, oder haben Sie die Pistole von sich aus weggeworfen?« griff meistens Amelia ein, stützte den sichtlich noch sehr erschöpften Oberleutnant Schütze und führte ihn zu einem Diwan, deckte ihn mit dicken Decken zu und wandte sich tadelnd an den verhörenden Offizier.
    »Mein Mann bedarf der Ruhe. Sie sehen es. Er ist hart am Tode vorbeigekommen. Es nimmt ihn alles noch so mit. Bitte, kommen Sie wieder. Er muß jetzt ruhen. Der seelische Schock … Sie verstehen.«
    Die Offiziere verstanden. Sie küßten der hübschen Kameradenfrau die Hand, wünschten dem Herrn Oberleutnant baldige Genesung und entfernten sich, um in der Kaserne einen Bericht zu schreiben.
    »Herr Oberleutnant H.E. Schütze ist noch sehr pflegebedürftig und nur bedingt vernehmungsfähig.
    Zur Wahrheit ermahnt, sagte er auf gestellte Fragen folgendes aus: Ich habe …«
    Die Erfrierungen Heinrich Emanuels erwiesen sich als sehr langwierige Heilungsprozesse. Fast sechs Monate dauerte die Genesung. In Intervallen durchgeführte Untersuchungen wurden – da sie vorher schriftlich angezeigt wurden – von Großvater Sulzmann erfolgreich gesteuert. Durch eine in den Ablieferungsbüchern stehende, aber auf dem Wege zur Truppe ›verlorengegangene‹ Fleischbüchsensendung war er in den Besitz von 50 Flaschen französischen Kognak gekommen. Jahrgang 1907. Da Alkohol auch in der Medizin verwandt wird, kam es, daß die Schubladen der Garnisonsärzte just immer dann nach Kognak rochen, wenn Oberleutnant Schütze zur Untersuchung vorgeladen wurde. Viermal gelang es Sulzmann, seinen Enkel noch zum avH zu machen (Arbeitsverwendungsfähig Heimat) … nach sechs Monaten erreichte er nur noch ›bedingt Kv‹.
    Heinrich Emanuel Schütze nahm Abschied von seinem großen Sandkasten und Amelia. Seine tiefe Traurigkeit buchte Amelia für sich. Großvater Sulzmann ließ sich auf Perritzau ein Zimmer einrichten. Das Werk seines Enkels wollte er fortführen. Er hatte sich so an das Kriegspielen gewöhnt. Außerdem entwickelten sich durch die verschiedenen Auffassungen der Truppenbewegungen ungeheuer interessante männliche Streitgespräche.
    Die Abfahrt Schützes war ganz intern. Nur Amelia stand am Zug. Von Vater, Mutter, Opa und Schwiegervater, Schwagern und neu befreundeten Kriegsexperten hatte er sich bereits auf dem Gut verabschiedet. Arm in Arm gingen sie über den Bahnsteig. Amelia hielt sich tapfer, sie lächelte sogar. »Du«, sagte sie leise und drückte seinen Arm, »ob wir ein Kind bekommen werden …«
    »Vielleicht. Schreib mir sofort, wenn du etwas spürst. Vielleicht kann ich dann Urlaub bekommen …«
    »Ich wünschte, es würde ein Mädchen«, sagte sie. »Sie brauchen nicht in den Krieg …«
    »Du mußt vaterländischer denken, Amelia. Nach diesem Krieg wird es nie mehr einen geben. Wir werden der Welt eine Lehre erteilen. Hoffen wir auf einen Jungen, der die Größe Deutschlands erleben kann.«
    Sie nickte. Sie war stolz auf ihn. Wie sie ihn alle grüßten. Das EK II auf seiner Brust klimperte, wenn er ruckartig stehenblieb, um einen Vorgesetzten zu grüßen. Sein Gesicht, so schien es ihr, war reifer geworden. Kantiger. Männlicher. Sie dachte an die Nächte der vergangenen sechs Monate, an das Abfallen alles Kriegerischen, wenn er in ihren Armen gelegen hatte und nicht mehr Oberleutnant, sondern nur noch Mensch war.
    »Weißt du schon, wo du hinkommst?« fragte sie, nur um etwas zu sagen. Er schüttelte den Kopf.
    »Ich muß mich bei der Division melden. Das ist der ganze Befehl.«
    »Du schreibst mir sofort?«
    »Sofort –«
    Noch lange, nachdem der Zug abgefahren war, stand Amelia auf dem Bahnsteig und sah der Rauchwolke nach, die steil in den blauen Herbsthimmel zog. Jetzt,

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