Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Brust:
    »Schwein!«
    Neue Besen kehren gut, heißt ein Volksspruch. Oberleutnant Schütze entwickelte sich in den ersten Tagen seiner Ortskommandantur nicht zum Besen, sondern zum radikalen Staubvernichter.
    Er inspizierte die Kompanieunterkünfte, brüllte die Zugführer zusammen, bekam Streit mit dem Truppenkommandeur, indem er sagte: »Was in meinem Ort geschieht, bestimme ich. Wenn mein Vorgänger einen Saustall duldete – ich nicht. Wir haben im Feindesland als Repräsentanten des deutschen Reiches aufzutreten, aber nicht wie eine Horde geiler Stiere.« Er besichtigte die Fabriken, ließ den Ortsbürgermeister, einen alten Glasbläser, kommen und bestimmte: Jede Belästigung der Mädchen durch deutsche Soldaten ist sofort zu melden. Alle Requirierungen ohne Kommandanturbefehl sind Diebstahl. Er drehte Soustelle völlig auf den Kopf und meldete nach einer Woche der Armee, Abteilung Ortskommandanturen: In Soustelle keine besonderen Vorkommnisse. Bevölkerung nach wie vor deutschfreundlich.
    Vier Wochen nach seiner Versetzung nach Soustelle bekam Heinrich Emanuel Schütze an einem Abend Besuch.
    Er saß in seinem Zimmer, in der Villa des Fabrikbesitzers der Glasbläserei, und las in einem wehrtaktischen Buch, als die Balkontür zum Garten knirschte und ein Schatten ins Zimmer glitt. Schütze warf das Buch weg, sprang aus dem Sessel und wollte, da er unbewaffnet war, um Hilfe rufen, als er sah, daß der Eindringling auch unbewaffnet war. Zudem hielt der Mann beide Hände hoch und schüttelte den Kopf.
    »Was wollen Sie?« schrie Schütze. »Warum dringen Sie hier ein? Wer sind Sie?«
    »Kennen wir uns nicht?« fragte der Mann. Er sprach ein sehr akzentgefärbtes Deutsch. Oberleutnant Schütze nahm die Tischlampe hoch und leuchtete den Mann an. Er war mittelgroß, etwas abgerissen in der Kleidung, mit einem eingefallenen Gesicht. Heinrich Emanuel konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.
    »Nein«, sagte er knapp. »Was wollen Sie?«
    Der nächtliche Besucher kam langsam näher. Die Hände hatte er heruntergenommen. »Mein Name ist Charles Bollet. Sagt Ihnen das nichts?«
    »Bollet? Bo –« Oberleutnant Schütze setzte die Lampe hart auf den Tisch zurück. »Sie … Sie sind –«
    »Ja. Nach meiner Freilassung bin ich aus Courémont geflüchtet und hier in Soustelle untergekrochen. Mit meiner Familie. Ich wohne hinter der Töpferei. Keiner kennt mich hier. Alle halten mich für einen Landarbeiter. Nur Sie kennen mich … darum bin ich hier.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß Sie hier in Soustelle …, daß Sie hier eine Gruppe von Franktireurs … unter meinen Augen …« Heinrich Emanuel umklammerte die Tischkante. »Ich werde Sie erschießen lassen …«
    »Um dies zu verhindern, bin ich gekommen.«
    »Sie wollen mich umbringen?« Schützes Stimme wurde mutlos. »Sie wollen einen wehrlosen Mann erschießen?«
    Charles Bollet schüttelte den Kopf. Er setzte sich in den Sessel, in dem erst Schütze gesessen hatte und legte einen Revolver auf den Tisch, den er aus der Tasche seines Mantels zog.
    »Sehen Sie, ich meine es ehrlich. Warum sollen wir uns umbringen? Wir verdanken uns gegenseitig unser Leben. Keiner von uns lebte mehr, wenn es den anderen nicht gegeben hätte. Ich meine, so sollte es weiterhin sein. Wir wollen Freunde sein.«
    »Während Sie meine Trainkolonnen überfallen? Was denken Sie sich? Ich bin Offizier …«
    »Seien Sie einmal Mensch.«
    »Im Krieg nicht. Sie sind das Gemeinste, was es gibt. Sie schießen aus dem Hinterhalt. Sie überfallen Verwundetentransporte –«
    »Das ist eine Lüge!« Bollet sprang auf. »Wenn Sie mir beweisen, daß wir einen Krankenwagen überfallen haben, stelle ich mich Ihnen gegen meine eigenen Brüder zur Verfügung.«
    »Man hat es mir erzählt.«
    »Man erzählt auch, daß die deutschen Barbaren Kinder schlachten und die Hände überm Feuer braten. Man erzählt, daß sie beim Einmarsch in Belgien den Mädchen die Brüste abgeschnitten haben … Ich weiß, daß es Lüge ist, eine Hetze, die aber das Volk glaubt. Wenn ich mit meinen Leuten des Nachts hinter Ihrem Rücken kämpfe, so ist dies kein Mord, sondern Patriotismus. Wir haben die Deutschen nicht in unser Land gerufen. Wir wollten keinen Krieg.«
    »Glauben Sie, ich wollte ihn?« Heinrich Emanuel ging unruhig im Zimmer hin und her. »Alles, was Sie sagen, ist vielleicht richtig. Es ändert aber nichts daran, daß ich als Ortskommandant von Soustelle die Pflicht habe, Sie zu verhaften.

Weitere Kostenlose Bücher