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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Er schob eines vor Schütze hin und klopfte ihm auf die Schulter. »Trinken! Los! Prost!« Er klopfte Heinrich Emanuel noch ein paarmal auf die Schulter, weil dieser nach dem Genuß des Kognaks einen Hustenanfall bekam. »Und nun denken Sie, der alte Langwehr könnte wieder helfen. Tja …« Der Arzt musterte Schütze wie einen schwerkranken Patienten. »Wären Sie Bauarbeiter, Bäcker oder Stallknecht … ich könnte Sie unterbringen. Könnten Sie Betonplatten schleppen oder mit einem Bohrer umgehen … alles wäre leicht. Aber Sie sind Offizier. Immer noch. Sie sitzen da wie zur Parade zu Pferd. Trarara, der Kaiser kommt. Und die weißen Hosen hat man naß angezogen und am Körper trocknen lassen, damit es ja kein Fältchen gibt. Vier Jahre später hatten wir alle die Hosen voll. Na ja … was kann man für Sie tun, Heinrich Emanuel? Vielleicht haben Sie Glück, und der Deutsche läßt in ein paar Jahren wieder Soldaten marschieren. Es ist bei uns alles möglich. Die Einsichtigen sind gefallen, und die, die später neue Soldaten laufen lassen, sind die Nachsitzer in der Geschichte. Da sie doppelt gelernt haben, machen sie's dann auch gründlicher. Wir Deutschen sind darin Musterschüler.«
    Heinrich Emanuel Schütze erhob sich. »Es hat mich gefreut, daß auch Sie den Krieg überlebt haben«, sagte er etwas anzüglich.
    Dr. Langwehr lachte wieder. »Ich habe mich auch sehr darum bemüht. Ich habe mich nie zum Helden gedrängelt. Ich bin eine Art Ratte, die merkt, wenn das Schiff sinkt. Leute Ihresgleichen mögen mich verachten, einen Lumpen nennen, einen undeutschen Kerl, einen ehrlosen Burschen, einen Vaterlandsverräter, ein Gesinnungsschwein … die Skala der Fachausdrücke ist ja so groß und wird immer vergrößert.« Er wurde plötzlich ernst und kam auf Schütze zu. »Halt. Ich hab's. Schließen Sie sich einem vaterländischen Verband an. Machen Sie dort Wind … nicht aus der Hose, sondern mit dem Mund. Darin waren Sie und Ihresgleichen immer groß. Ihr Kapital liegt im Mund, Heinrich Emanuel. Schreien Sie nach Soldaten. Machen Sie tapfer Tradition. Marschieren Sie auf. Wecken Sie den neuen Wehrgedanken. Halten Sie Reden: Wir wollen Revanche! Wir sind von hinten erdolcht worden! Nieder mit den Jasagern von Versailles! Aus der Asche soll Deutschland erstehen wie ein Phönix! – Sie sollen sehen … es gibt Millionen, die Ihnen wieder nachrennen. Das ist die Stumpfheit der Masse, aus der die Politiker ihr Kapital schlagen. Ja, ohne diese Massenstumpfheit gäbe es vielleicht gar keine Politiker. Auf jeden Fall, Heinrich Emanuel, machen Sie feste in Vaterland … das ernährt immer seinen Mann …«
    Kurz verabschiedete sich Schütze. Fast angewidert verließ er die Praxis Dr. Langwehrs. Ein Kinderarzt, dachte er. Natürlich. Er verkindischt. Im Grunde genommen aber gab er Dr. Langwehr recht. Die Zukunft Deutschlands lag bei den Deutschen selbst. Sie mußten nur zu diesem Bewußtsein erweckt werden. Allerdings in anderer Tendenz, wie sie Dr. Langwehr gemeint hatte.
    Im September 1920 trat Heinrich Emanuel Schütze einem vaterländischen Kriegerverein bei. Er nannte sich ›Heimbund ehemaliger Soldaten‹. Schütze bekam die Mitgliedsnummer 283.
    Bei Kameradschaftsabenden wurde er mit ›Herr Hauptmann‹ angeredet. Man stand sogar stramm vor ihm.
    Bald hieß er nur noch ›Der Hauptmann‹.
    Schütze war stolz und zufrieden.
    Er wußte: Er war am rechten Platz.
    *
    Die Inflation kam.
    Ein Hühnerei kostete 1922 die runde Summe von 2 Millionen. Ein Brot 3 Milliarden. Ein Anzug 100 Trillionen. Ein Pfund ›Morgenröte‹-Margarine 2 Milliarden und dreiundzwanzig Millionen.
    Wenn Heinrich Emanuel bei seinen Kunden kassieren ging, nahm er einen großen Pappkoffer mit. In ihm trug er die Milliardenscheine nach Hause. Bevor er sie einzahlte bei der Post, waren sie nur noch die Hälfte wert. Kamen sie auf dem Konto an, hatten sie den Wert einer Briefmarke.
    Am 26. Juni 1922 erreichte ihn ein Telegramm aus Breslau.
    »Komme sofort Mutter sehr krank Vater.«
    Heinrich Emanuel Schütze konnte nicht fahren. Er lebte mit seiner Trillionenprovision von einem Tag zum anderen. Er hatte kein Geld, nach Breslau zu fahren.
    Vier Tage später schrieb es Baron v. Perritz an seine Tochter Amelia. Sie solle es Heinrich schonend beibringen. Sophie Schütze hatte sich mit Gas vergiftet. Sie konnte den Verlust ihrer jahrzehntelangen Ersparnisse durch die Inflation nicht verwinden.
    Als die siebentausend Mark, die sie erspart hatte,

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