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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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über Nacht wertloser wurden als ein Blatt Toilettenpapier, wurde sie trübsinnig.
    Dann drehte sie den Hahn des Gasofens auf und setzte sich davor. Die Bibel zwischen den Händen.
    So fand sie der Amtmann Franz Schütze, als er vom Amt nach Hause kam. Nachbarn retteten ihn davor, sich aus dem Fenster zu stürzen. Sie schafften ihn nach Perritzau, wo er stumpfsinnig im Garten saß und mit dem Spazierstock Kreise und Winkel in den Sand malte.
    »Mutter, o Mutter«, schluchzte Heinrich Emanuel Schütze, als er den Brief las. »Was hast du getan … Wo kämen wir hin, wenn wir keine Geduld hätten …«
    Da ließ Amelia ihren Mann allein und schloß sich wieder die Schlafzimmertür hinter sich ab.
    Manchmal haßte sie Heinrich Emanuel …

7
    Der Tod seiner Mutter, der Trübsinn seines Vaters, die immer mehr zu einer das deutsche Volk zermalmenden Lawine anschwellende Inflation mit Phantasiezahlen bewirkten bei Heinrich Emanuel genau das Gegenteil dessen, was Amelia angenommen hatte.
    Der Margarinevertrieb ging gut, wenn man gut als den Zustand bezeichnete, daß man nicht zu hungern brauchte. Aber je weiter das deutsche Volk durch den Versailler Vertrag und dessen Erfüllung in den Abgrund rutschte, um so stärker wurde in Heinrich Emanuel Schütze der vaterländische Drang an die Sonne.
    Es gab eine Reichswehr … aus Teilen treuer Soldaten hatte die neue Republik unter dem sozialdemokratischen Reichswehrminister Noske schon 1919 ein Heer von rund 200.000 Mann aufrechterhalten, um für Zucht und Ordnung zu sorgen. Die Freikorps rechnete man nicht dazu … es waren wilde Truppen wie jene des Kapitäns Hermann Ehrhardt, der mit seiner Brigade den Kapp-Putsch inszenierte, es waren Truppen, die im Baltikum kämpften und um Annaberg in Schlesien. Mit diesen Verbänden hatte Heinrich Emanuel nicht viel im Sinn. Erst, als im März 1920 der General von Seeckt zum Chef einer neuen Heeresleitung berufen wurde und sich die Zustände im letzten militärischen Rest Deutschlands normalisierten, begann auch Hauptmann a.D. Schütze nach den feldgrauen Uniformen zu schielen. Heimlich vorerst, denn noch wußte man ja nicht, ob die Sache sicher war und nicht eines Tages auch diese Truppen entwaffnet würden.
    Das geschah denn auch. Bis zum 1.1.1921 wurde das Heer auf die in Versailles bestimmte Stärke von 100.000 Mann reduziert. Jeder 3. Offizier wurde wieder entlassen. Was man behielt – es war General Seeckts Wunsch –, waren nur die fähigsten und vor allem adeligen Köpfe. Aus ihnen sollte einmal wieder – daran zweifelte niemand im engsten Kreise – eine neue schlagkräftige Armee entstehen.
    Heinrich Emanuel Schütze wartete noch. Er las zwar alle Berichte über die neue Reichswehr, er sammelte Bilder, er beschaffte sich über seinen Soldatenverband die neuen Exerzierreglemente und das neue 08/15 … An den langen Winterabenden saß er dann unter der Gaslampe und las Amelia aus dem neuen Reibert vor … »Wenn der Soldat ein öffentliches Lokal betritt, hat er darauf zu achten –«
    »Die Milch ist schon wieder 3 Millionen teurer geworden«, sagte dann Amelia. Heinrich Emanuel stellte seine Lesungen ein. Er war beleidigt. Wie kann man von Milch sprechen, wenn man aus dem Reibert vorliest?
    »Ist es nicht ein gutes Zeichen, wenn es schon wieder Reglements gibt?« fragte er einmal.
    Amelia schüttelte den Kopf. »Es ist ein Alarmzeichen …«
    »Ganz richtig! Ganz richtig! Einmal wird die Zeit wiederkommen, wo unsere Hörner zum Alarm blasen und Deutschland reinfegen von den ehrlosen Gruppen, die heute vor Versailles im Staube kriechen!« rief Hauptmann a.D. Schütze.
    Er begeisterte sich an diesen Reden. Er hielt sie im Kameradenkreis, bei Appellen der Traditionsverbände, bei Denkmalsenthüllungen, bei Fahnenweihen, die jedesmal sein Herz höher schlagen ließen.
    Sonst aber blieb er abwartend. Nur einmal vergaß er sich. Christian-Siegbert, sein Ältester, spielte mit anderen Kindern auf der Straße. Er mußte das tun, obwohl er immer verprügelt wurde, denn die Kinder, die ihn verprügelten, stammten aus Familien, die von Heinrich Emanuel ihre Margarine bezogen. Ein Verbot, auf der Straße zu spielen, konnte schnell als Klassenkampf betrachtet werden. Auf der Straße lernt man allerlei. Und so kam eines Tages Christian-Siegbert vom Spielen nach Hause, stellte sich vor seinen Vater und brüllte, die Faust erhebend:
    »Heil Rotfront! Nieder mit den Militaristen!«
    Heinrich Emanuel schlug schneller zu, als Amelia sich

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