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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ekelte es sie, ihren Mann anzusehen. Steif, mit durchgedrücktem Kreuz, verließ Schütze das Schlafzimmer. Er setzte sich wieder ans Fenster, im Dunkeln, und starrte hinaus auf die Straße.
    Als er nach zwei Stunden ins Schlafzimmer gehen wollte, fand er die Tür von innen abgeschlossen. Er war zu stolz, um zu klopfen oder um Einlaß zu begehren.
    Er ging in die Küche, legte sich auf das dort stehende Sofa, deckte sich mit der Tischdecke zu und schlief unruhig ein.
    Er träumte von Frau Erna Sülke. Nackt, wie er sie gesehen hatte, lag sie in seinen Armen, und der Ehemann Karl und Amelia standen um ihn herum und schrien ihn an: Die Politik ist ein Verbrechen.
    In Schweiß getränkt, wachte er auf.
    Hinter den Gardinen dämmerte der Morgen herauf.
    Ein neuer Margarinemorgen.
    Ein neuer Tag der Probepäckchen.
    »Gnädige Frau, nehmen Sie ›Morgenröte‹. Ihre Bratkartoffeln werden es Ihnen danken –«
    Geduldig wartete er, bis der letzte greinende Patient im Sprechzimmer abgefertigt worden war. Dann folgte er der jungen Sprechstundenhilfe in einen kleinen Aufnahmeraum.
    »Sie kommen wegen Ihres Kindes? Ihr Name bitte …«
    Schütze schüttelte den Kopf. »Ich möchte den Doktor privat sprechen.«
    »Der Herr Doktor ist bereits nach allen Seiten hin ausreichend versichert«, sagte die Schwester vorsichtig. Heinrich Emanuel lächelte schwach.
    »Ich will keinen versichern. Ich bin ein Kriegskamerad ihres Chefs …«
    Er sagte es leichtfertig. Wenn es nicht der Stabsarzt war … na ja, man konnte sich herausreden. Das junge Mädchen musterte Schütze. Dann ging es in das Nebenzimmer.
    »Bitte, kommen Sie herein«, sagte es, als es wiederkam. »Aber wenn das ein Trick war … der Doktor kann sehr grob werden …«
    Dann stand Heinrich Emanuel Schütze dem Kinderarzt Dr. Paul Langwehr gegenüber. Der Arzt saß hinter seinem Schreibtisch, einen Ohrenspiegel vor der Stirn, und sah den Besucher kritisch an. Er ist's, dachte Schütze. Er ist's wirklich. Stabsarzt Langwehr. »Guten Morgen, Herr Stabsarzt«, sagte er forsch.
    Dr. Langwehr neigte den Kopf zur Seite. »Wir kennen uns wirklich?« fragte er. »Woher bloß … Ihr Gesicht … wirklich, irgendwie habe ich eine dunkle Erinnerung.«
    »Ich bin Hauptmann Schütze. Damals war ich Oberleutnant. Erinnern Sie sich? Ich kam mit Erfrierungen zu Ihnen. Sie sorgten dafür, daß ich als Rekonvaleszent nach Soustelle kam.«
    »Ah! Ja! Natürlich!« Dr. Langwehr sprang auf. »Das Milchgesicht! 1915 – stimmt's?«
    »Ja«, sagte Schütze reserviert. Milchgesicht, dachte er. Damals war ich bereits Oberleutnant.
    »Der Junge, der glaubte, den Krieg sei bald zu Ende. Der Kaisertreue. Natürlich, hatten Sie nicht herrliche Vornamen?«
    »Heinrich Emanuel …«, sagte Schütze mit geschlossenen Lippen.
    »Natürlich. Ich erinnere mich. Das Fanal des Deutschtums. Der Mann, der Langemarck ein Heldenlied nannte und nicht ein Verbrechen, an der verblendeten deutschen Jugend. Setzen Sie sich, Heinrich Emanuel Schütze. Bitte. Wie geht es Ihnen jetzt? Zigarre? Zigarette?«
    »Danke«, sagte Schütze und setzte sich.
    »Was danke?«
    »Auf alle Ihre Fragen: Danke. Mir geht es gut. Leidlich –«
    »Deutlich gesagt: Saumäßig. Was?«
    »Nicht ganz.«
    »Aus der Bahn geworfen. Kann man verstehen. Man träumt vom Generalstab und wacht auf in der Gosse.«
    »Sie haben sich die Ausdrucksweise aus dem Krieg gerettet«, sagte Schütze konsterniert. »Ich handle mit Margarine …«
    »Sehr gut.« Dr. Langwehr lachte schallend. »Immer in der Nähe der Fettpötte bleiben. Gratuliere. Wie geht's Geschäft?«
    »Gut. Man lebt …«
    »Und nun wollten Sie mal sehen, ob der alte Stabsarzt Langwehr auch Margarine frißt, was? Seien wir ehrlich: leider ja. Meine Praxis geht gut … aber die Mütter, die mit ihren unterernährten Kindern und den Lungentuberkulösen kommen, haben selbst nichts. Und von den Krankenscheinen kann heute keiner mehr fett werden.«
    Schütze sah auf den Ohrenspiegel. In ihm sah er sein Gesicht, verzerrt wie eine Fratze. Mitten in der Stirn hatte er ein Loch. Schaudernd sah er wieder weg.
    »Ich wollte Sie nur noch einmal sehen, Herr Stabsarzt«, sagte er leise. »Sie haben mir damals geholfen … sehr geholfen. Ich habe es erst nicht einsehen wollen. Aber wenn man älter wird …«
    »Wie alt sind Sie denn jetzt?«
    »Siebenundzwanzig Jahre …«
    »Mein Gott, wie jung.« Dr. Langwehr stand auf, holte aus dem Instrumentenschrank eine Flasche Kognak und goß zwei Gläser voll.

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