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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht mehr jagen, färbte sich seinen Bart schwarz, weil er weiß zu werden begann, und regierte sein Gut vom großen Fenster seines Arbeitszimmers aus. Politisch war er uninteressiert. Das war ganz plötzlich gekommen. Nach der Inflation, aus der er das Gut mit Hängen und Würgen retten konnte. Sein Reich war noch immer das Kaiserreich. In ihm hatte er seine Glanzzeit erlebt. Wer jetzt regierte, ob Ebert oder sonstwer … das war ihm völlig gleich. »Ich bin ein Bauer«, sagte er jetzt immer. »Mich gehen nur die Kartoffeln etwas an und die Rüben. Alles andere ist Schiet …«
    Am schwersten fiel der Abschied von Detmold den Kindern. Sie hatten hier ihre Freunde gehabt, sie hatten hier bewußt ihre Kindheit erlebt. An Köln war kaum eine graue Erinnerung geblieben … Vor der Riesenstadt Berlin hatten sie Angst. »Dort gibt es keine Bäume«, hatte Ewald schwarz gesagt. »Und dort gibt es vor allem Tausende Kommunisten, aber schlimmer als mein Papa. Die schießen da in Berlin. Die machen Straßenschlachten mit den Nazis. Nee, da möchte ich nicht hin. Und Schlittschuhfahren wie hier auf'n Schloßteich, das kannste auch nicht …«
    Heinrich Emanuel besänftigte die Bedenken seiner Kinder.
    »Das ist alles halb so schlimm. Wir wohnen draußen am Grunewald, da ist es herrlich, wie in einem Park. Und jeden Tag seht ihr die Wache aufmarschieren. Ein großes Museum ist da … da zeige ich euch die Fahnen der glorreichen Regimenter, die Kruppkanonen, die Maschinengewehre, die wir vor Verdun gehabt haben, den ersten Tank …«
    »Und schöne Kirchen gibt es da, Kinder«, sagte Amelia laut. »Herrliche Altäre …«
    »Auch.« Heinrich Emanuel brach das Gespräch ab. Es wurde wieder gefährlich.
    Die Abfahrt war ein kleiner Volksauflauf. Die halbe Klasse begleitete die Schütze-Söhne, an der Spitze Schwarz und Nüssling. Selbst der Kommandeur war erschienen und küßte Amelia die Hand.
    »Vergessen Sie uns nicht ganz im Weltstadtgetümmel«, sagte er. »Und wenn Sie sich von Taktik und Politik erholen wollen –«, er schielte zu Hauptmann Schütze hinüber –, »dann kommen Sie nach Detmold. Meine Frau und ich würden uns freuen …«
    Schütze drängte zum Einsteigen. Daß Werkmeister Schwarz und Architekt Nüssling einträchtig nebeneinander standen und ihm das Abschiedsgeleit gegeben hatten, war ihm unangenehm.
    Na ja, das wird aufhören in Berlin, tröstete er sich. Als Ausbilder der Fähnriche hat man andere Sorgen als Biertischgespräche mit Parteigängern. In Detmold, in einer kleinen Garnisonsstadt, war alles familiärer. Es war gut, daß man aus diesem bürgerlichen Sog herauskam in die Höhenluft großer Entscheidungen.
    Mit Taschentüchern und Bonbontüten wurde aus dem Fenster gewinkt, bis der Zug aus der Bahnhofshalle gefahren war. Dann lehnte sich Heinrich Emanuel in die Polster des Abteils zurück und überblickte seine Familie. Eine schöne, noch junge Frau. Drei Kinder … zwei stramme Jungen und ein etwas blasses, zierliches Mädchen.
    »Jetzt wird unser Leben noch schöner«, sagte er zufrieden und brannte sich eine Zigarette an. »Jetzt werdet ihr erst richtig verstehen, was es heißt, Deutschland zu lieben …«
    *
    Sie kamen in Berlin am Bahnhof Charlottenburg an, als es schon dunkel war. Auf dem Bahnsteig hörten sie von der Straße her Musik und grelle Rufe.
    Christian-Siegbert schob seine Mütze gerade. »Was ist das, Vater?«
    Heinrich Emanuel hob die Schultern. »Irgendein Umzug, mein Junge. Vielleicht Kommunisten. Hier in Berlin ist immer ein Umzug. Hier ist der Pulsschlag der Nation. Jeder kann ihn fühlen.«
    Hauptmann Schütze fühlte ihn schon wenige Minuten später. Als er mit seiner Familie aus dem Bahnhof kam und auf die Straße trat, um eine Taxe zu rufen, marschierte ein langer, dicht geschlossener Haufen singender Männer heran. Sie trugen rote Binden an den Ärmeln, schwenkten blutrote Fahnen und brüllten im Chor: »Rotfront voran! Proletarier, vereinigt euch!«
    »Kommunisten!« sagte Hauptmann Schütze angewidert und blieb stehen. »Seht sie euch an, Kinder! Um diese Männer nicht an die Regierung zu lassen, trägt euer Papa die graue Uniform!«
    Er kam nicht zu weiteren Erklärungen. Der singende und schreiende Haufen war an ihm vorbeimarschiert. Plötzlich entdeckten ein paar Männer den Hauptmann in der Uniform. Im Nu war Heinrich Emanuel von roten Fahnen und roten Armbinden umringt. Er wurde von seiner Familie abgedrängt, gestoßen, geknufft, getreten. »Hände weg, ihr

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