Manöver im Herbst
dienen, sondern dem deutschen Volk, das die Befreiung von Parlamentarismus herbeisehnt.«
»Unerhört!« sagte Heinrich Emanuel laut. Er riß das Zeitungsblatt ab, steckte es in die Tasche und ging ins Kasino zum Mittagessen.
Als er zum Nachmittagsunterricht wieder am Schwarzen Brett vorbeiging, hing ein neuer Zettel daran. Ein Flugblatt. Mit einem Hakenkreuz.
»Der deutsche Soldat, der national denkt, muß heute ein Revolutionär sein …«
»Solch eine Sauerei«, sagte Hauptmann Schütze, riß das Blatt ab und stürmte in den Unterrichtsraum.
»Ich bin empört!« schrie er mit heller Stimme. »Bevor ich dem Kommandeur Meldung mache, bitte ich Sie, meine Herren, um Diskretion. Wir wollen das unter uns erledigen. Ich appelliere an Ihr Ehrgefühl als zukünftige Offiziere.« Er zog die beiden Blätter aus der Tasche, strich sie glatt und hielt sie hoch. Alle sahen es. Der ›Völkische Beobachter‹. Zweimal das Hakenkreuz. »Das fand ich eben an der Tafel.« Schützes Stimme bebte. »Wer dies darangeheftet hat, möchte sich nach der Stunde allein bei mir melden. Ich hoffe, daß der oder die Täter genug Courage haben, für ihre Tat einzustehen.«
Es meldete sich niemand.
Heinrich Emanuel war maßlos enttäuscht. Er wartete eine halbe Stunde allein im Unterrichtsraum … Als niemand kam, ging er mit einem unguten Gefühl nach Hause. Er sagte Amelia nichts. Aber am nächsten Morgen hing eine neue Ausgabe des ›Völkischen Beobachters‹ am Brett, und zwanzig Fähnriche standen davor und ließen sich von einem den Text einer Rede Hermann Görings vorlesen.
Schütze brüllte. Er änderte den Unterrichtsplan und marschierte mit den Fähnrichen hinaus.
»Ich weiß, es ist unwürdig eines Fähnrichs, wie ein Schütze Arsch behandelt zu werden …, aber anscheinend wollen Sie es nicht anders, meine Herren.«
Dann jagte er die Fähnriche durchs Gelände, ließ sie unter der Gasmaske singen, machte einen Dauerlauf unter Gasalarm, ließ im angenommenen Trommelfeuer robben … nach zwei Stunden lagen sieben Fähnriche keuchend an einer Böschung und wurden von einem mitgenommenen Sanitäter in der Herzgegend massiert.
Heinrich Emanuel Schütze ließ wieder antreten. Langsam ging er von Mann zu Mann. Jedem blickte er starr in die Augen. Alle flatterten, alle wichen seinem Blick aus.
»Wer war es?« fragte er heiser.
Niemand meldete sich.
Als sie in die Kriegsschule zurückkamen, hing ein anderes Blatt am Schwarzen Brett. Auszüge aus dem Parteiprogramm der NSDAP.
Die Fähnriche starrten ihren Hauptmann an. In ihren Augen lag die ganze Trauer unschuldig geprügelter Jungen. Wortlos riß Schütze den Zettel ab, drehte sich schroff um und verließ den Flur.
Aber er ging nicht weit. In einer leeren Klasse setzte er sich hinter das Pult und wartete. Als es sieben Uhr abends war, verließ er die Klasse und ging auf das Klosett, das dem Schwarzen Brett gegenüberlag. Die Fähnriche lagen auf ihren Stuben oder hatten Ausgang, der Flur war ausgestorben bis zum nächsten Morgen. Das Klosett würde am Abend nicht mehr benutzt werden.
Mit klopfendem Herzen, seinen erregten Atem unterdrückend, stand Hauptmann Schütze hinter der Klosettür und lauschte auf einen Laut.
Er wartete fast eine Stunde. Dann hörte er Schritte. Deutlich vernahm er in der Stille des Flures das Knarren von Stiefeln. Die Sohlen klapperten über die Fliesen. Es sind mindestens zwei, dachte Schütze und preßte das Ohr gegen die Tür.
Die Schritte verstummten. Schütze atmete schnaufend. Jetzt stehen sie vor der Tafel. Jetzt … jetzt … Er öffnete seine Pistolentasche, nahm die Pistole heraus, steckte sie in den Waffenrock und riß mit einem Ruck die Tür auf. Sie krachte gegen die Wand.
Vom Schwarzen Brett wirbelten zwei schlanke Gestalten herum. Eine von ihnen hielt eine Ausgabe der NS-Zeitung in der Hand, der andere eine Schachtel mit Heftzwecken. Zwei Leutnants. Zwei Absolventen der Offiziersreitschule.
Heinrich Emanuel Schütze trat mit drei schnellen, großen Schritten auf sie zu. Die Erregung ließ ihn nach Worten ringen … sie sprangen von seinen Lippen wie schwere Steine, die er ausspuckte.
»Zwei Offiziere!« sagte er heiser. »Es ist eine Schande, meine Herren! Als Ihr Vorgesetzter mache ich von meinem Recht, Untaten auf frischer Tat zu ahnden, Gebrauch: Ich verhafte Sie hiermit und bitte Sie, mir zu folgen!«
Die beiden jungen Leutnants standen stramm. Dann nestelten sie an ihren Pistolentaschen, holten die Waffen heraus und
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