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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit ein wenig Interesse und Verwunderung abwartend, ob damit mehr Arbeit verknüpft war.
    Sie brachten mehr Arbeit. Heinrich Emanuel hielt strenge Appelle. Er strich mit der Hand über die Schränke, er guckte unter die Betten, und wo er Staub fand oder gar Staubflocken, da brüllte er und drohte mit einer Putzfrau, deren Entgelt vom Lohn der Betroffenen abgezogen werden würde.
    Für das Essen stellte er einen Kochplan auf. Er wurde in Trottowitz gedruckt und an alle Familien verteilt. Bei fünf Polen fand er diese Blätter bei einer Visite auf dem Klosett hängen, sauber auf einen Nagel gespießt.
    »Wir nix lesen deitsch!« bekam er zur Antwort. »Wir überhaupt nix lesen. Wir nur rabottie …«
    Heinrich Emanuel ließ sich nicht verblüffen. Gegen Analphabetentum war nicht aufzukommen, aber das Praktische überzeugt. Er ließ unter seiner Aufsicht in einem Haus einen großen Kessel Probe kochen und lud alle anderen polnischen Familien ein. Die Geschmacksprobe sollte anregen.
    Sie war ein voller Erfolg.
    Die Polen ließen das eine Woche lang über sich ergehen. Dann erfanden sie eine Waffe gegen den wilden Reformator Heinrich Emanuel.
    Diese Gegenwaffe hieß Wanda Schimansky.
    Sie war 23 Jahre alt, rotblond, schlank und zu allem fähig. Als Heinrich Emanuel Schütze wieder die Häuser und Stuben durchsah, lauerte ihm Wanda hinter der Tür ihres Zimmers auf. Hauptmann Schütze sah sich plötzlich einer Situation gegenüber, die ihn mehr als drastisch an Frau Sülke aus der Kölner Thieboldsgasse erinnerte.
    »Nana«, sagte er jovial und trat näher. Ihm fielen Dinge ein, die lange in ihm geschlummert hatten. Er dachte plötzlich an seine schönste Zeit im letzten Krieg, an Jeanette Bollet in der Kommandantur von Soustelle …
    Und ein Mädchen in Detmold, von dem er nicht einmal den Namen mehr wußte. Sie war damals im Urlaub bei Verwandten. Am Hermannsdenkmal hatte er sie kennengelernt. Na ja … wer kann einem hochgereckten Schwert widerstehen?
    Wanda Schimansky bewegte sich auf ein Bett zu, das im Hintergrund stand. Sie ging wie eine Katze, lautlos, geschmeidig, sich in den Hüften wiegend. Zum Teufel – es waren Hüften!
    Heinrich Emanuel sah ihr zu. Seine Kehle wurde trocken. Soviel Hitze dörrt aus. Wanda Schimansky legte die Hände über ihren weißen Leib. Sie tat, als ob sie fröre.
    »Kalt«, sagte sie leise. Ihre Stimme girrte, als flatterte ein Vögelchen um ihre Stimmbänder. »Und nix Offen im Zimmär. Womit ich soll wärmen? Weißt du?«
    Hauptmann Schütze wußte es.
    Es ist ein alter militärischer Grundsatz, daß der, der fragt, auch Antwort zu bekommen hat.
    Wanda Schimansky bewegte sich auf ihn zu. »Kalt«, sagte sie noch einmal leise. »Mir ist kalt.« Dann ging sie zur Tür und drehte den Schlüssel zweimal herum.
    *
    Die Aktion ›Arbeiterreform‹ wurde schon einen Tag später schlagartig gestoppt. Hauptmann Schütze zog sich in das Herrenhaus Perritzau zurück und vermied es, die polnischen Siedlungen an den Feldrändern zu inspizieren.
    Er schrieb ein neues Buch.
    ›Der Angriff als Abschlag.‹
    Zu Amelia war er besonders aufmerksam und liebevoll. Er spielte mit den Kindern im Park. Er lehrte Christian-Siegbert das Reiten; Giselher-Wolfram und Uta-Sieglinde durften in einem offenen Wagen mit zwei Pferden fahren.
    Viermal erschien Wanda Schimansky auf dem Gut und lieferte Butter ab. Wenn Heinrich Emanuel sie kommen sah, verschwand er im Park und suchte weit hinten, außer Blickweite, Blumen oder Steine für einen Steingarten, den Amelia anlegte.
    »Was machen deine Reformen?« fragte eines Tages der Baron. »Ich sehe keinen Fortschritt, Heinrich.«
    Schütze wiegte den Kopf. »Das ist so, Schwiegervater«, sagte er weise, »man soll in naturgegebene Dinge nicht eingreifen. Man verändert sonst die Natur –«
    Nach elf Wochen reisten sie wieder ab nach Berlin.

10
    Was man im Reichswehrministerium erwartet hatte, war eingetroffen: Niemand kümmerte sich mehr um den Hauptmann Schürze. Die Ereignisse überstürzten sich Tag für Tag. Die Kabinette purzelten … Brüning wurde Reichskanzler, Hitler ging zu massiven Angriffen über. In Berlin trat ein kleiner, schmächtiger, hohlwangiger Mann mit einem Klumpfuß auf. Er war so unscheinbar, daß man ihn einfach übersah, wenn man ihm begegnete … nur, wenn er den Mund aufmachte, wenn er sprach, war es, als würden Tausende von Menschen hypnotisiert. Der kleine, hinkende Mann nannte sich Gauleiter von Berlin und hieß Dr. Joseph Goebbels. Er

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