Manöver im Herbst
Querulant«, sagte er zu Amelia und schämte sich des angeheirateten Onkels. »Schon beim Kaiser hatte er immer etwas auszusetzen. Er war immer ein Pazifist in Uniform. Amelia – dieser Eberhard ist ein Schandfleck unserer Familie. Jawoll.«
»Ich kann ihn nicht umbringen …« Amelia wusch wütend das Abendgeschirr ab. Sie klapperte mit den Tellern wie ein Beckenschläger der Militärkapelle. »Vergiß aber nicht, daß er es war, der dich wieder zur Reichswehr gebracht hatte. Sonst wärest du heute noch Margarineverteiler.«
»Nie! Der wahre Geist setzt sich immer durch.« Heinrich Emanuel trank hastig ein Glas Bier und wischte sich den Schaum von seinem Schnurrbart. »Noch immer bin ich Hauptmann. Noch immer bin ich nicht im Generalstab. Trotz meiner gut beurteilten Denkschriften. Irgend etwas muß mir anhängen. Und ich wette – es ist dieser Onkel. Aber dagegen werde ich etwas tun.«
»Und was?«
»Ich werde mich in aller Form von ihm distanzieren.«
»Das wäre gemein.«
»Gemein ist, wer die Zeichen einer neuen Zeit nicht erkennt – oder erkennen will. Ich werde mich bemühen, daß solch ein Verdacht nicht auf mich fällt. Ich stand immer auf der Seite des Fortschritts. Ich –«
»Mach, was du willst«, sagte Amelia grob und räumte das Geschirr in den Küchenschrank. Heinrich Emanuel wollte ihr helfen, aber ein Teller fiel ihm aus der Hand und zerklirrte auf dem Boden. Amelia nickte. »Du scheinst dabeizusein mehr zu zerschlagen als nur einen Teller. Aber mach nur, was du willst. Wir Frauen verstehen ja nichts davon, was ihr Männer euren ›Lebensinhalt‹ nennt –«
Nach wenigen Tagen war es klar. General v. Perritz war entlassen worden, weil er den neuen Reichskanzler einen politischen Dilettanten und militärischen Hasardeur genannt hatte. Heinrich Emanuel Schütze machte sich sofort auf den Weg zum Chef der Heeresleitung. Eine neue wehrtechnische Studie trug er auch bei sich. Sie hieß ›Die Möglichkeiten einer Landung auf den britischen Inseln‹.
Ein General Müller empfing ihn. Es war ein neuernannter General, der seit wenigen Tagen dem Reichswehr-Offiziers-Personalamt vorstand. Früher war er Oberst in Königsberg gewesen und einer der ersten Stabsoffiziere, der ohne Befehl von Berlin aus bei einer Redeversammlung Hitlers eine Reichswehrschutzwache gestellt hatte. Bevor man ihn zur Rechenschaft ziehen konnte, war Hitler Reichskanzler geworden und hatte Oberst Müller mit dem Generalstitel belohnt.
General Müller, groß, hager, mit einem Parteiabzeichen auf dem grauen Rock, über dem EK I tragend, schob die Denkschrift Schützes nach dem Lesen des Titels zur Seite. Er lächelte mokant, als er in den Personalakten blätterte, und legte dann den Zeigefinger auf eine Stelle des Schützschen Lebenslaufes.
»Ihr Onkel ist Generalleutnant –«
»Der Onkel meiner Frau, Herr General«, unterbrach Heinrich Emanuel schnell.
»Immerhin ein Familienmitglied.«
»Leider –«
»Wieso leider? Er hat Sie doch in die Reichswehr empfohlen. Hier steht's.«
»Das schon. Aber –«
»Was aber? Hatten Sie einen Auftrag, als Sie eingestellt wurden? Sollten Sie die Moral erweichen?«
»Erweichen? Ich?« Die Ungeheuerlichkeit dieser Verdächtigung nahm Heinrich Emanuel den Atem. Ich, gerade ich, dachte er. Sein Atem rasselte, so erregt war er. »Aus meinen Akten wird ersichtlich, daß ich immer –«
»Genau.« General Müller blätterte weiter. »Ich sehe, daß Sie schon immer sehr schwer von Begriff waren …«
»Ich?« stotterte Schütze entgeistert.
»Wohl Sie! Ich rede nicht von Ihrer Großmutter. Hier 1927. Schlägerei mit Kommunisten.«
»Ich wurde überfallen, Herr General.«
»1930: Verhaftung national denkender Leutnants. Ihretwegen bekamen sie achtzehn Monate Festungshaft. Weil sie deutsche Flugblätter verteilten. Weil sie den anderen Kameraden die Wahrheit nahebrachten. Und Sie haben –« General Müller brüllte plötzlich, »- Sie haben diese aufrechten Männer an den Galgen liefern wollen! Wissen Sie, was Sie sind?«
»Ich war im Recht, Herr General«, stotterte Heinrich Emanuel. Er stand in strammer Haltung vor dem Schreibtisch. »Ich hatte die Aufgabe –«
»Scheiße hatten Sie!« brüllte General Müller. »Im Gehirn, in der Gesinnung – überall hatten Sie Scheiße!« Schütze erstarrte. Er spürte es eiskalt vom Herzen aus durch sein Adernsystem rinnen. Der neue Ton, dachte er. Das ist er nun … man muß sich umgewöhnen. »Was wollen Sie eigentlich hier?« schrie
Weitere Kostenlose Bücher