Manöver im Herbst
Göring ist dabei. Ein Hauptmann Röhm führt die SA, ein Diplomlandwirt Himmler die SS … und Hindenburg ist einverstanden. Deutschland wird wieder ein Staat werden.«
»Durch einen Gefreiten –?« fragte Amelia und sah Schütze mit geneigtem Kopf an. Heinrich Emanuel war die Bemerkung peinlich.
»Jetzt ist er Reichskanzler und kein Gefreiter mehr. Das Vertrauen der Deutschen hat ihn auf den Platz gesetzt. Man hat ihn gewählt. Warum soll aus der Truppe nicht auch –«
»Na ja«, sagte Amelia leise, ließ Schütze stehen und ging in die Küche. Der Braten wollte begossen werden, sonst bekam er eine schwarze Rinde.
Am Abend des 30. Januar 1933 stand Hauptmann Schütze am Brandenburger Tor. In Zivil. Er starrte auf die Zwölferreihen der SA, die mit Fackeln und singend durch Berlin zogen, in einem Siegestaumel, wie sie nur die römischen Legionen kannten, als sie Hannibal besiegt hatten.
Die Begeisterung riß ihn mit. Die Marschmusik dröhnte in seinem Hirn und seinem Herzen wider. Er ging neben den Zwölferreihen der braunen Kolonnen her, er fiel unbewußt in den Marschschritt, marschierte neben ihnen her, bis er plötzlich mitten unter ihnen war, mit vielen anderen Zivilisten. Plötzlich hatte er eine lodernde Fackel in der Hand – er wußte nicht, wer sie ihm in die Finger gedrückt hatte – er schwang sie hoch empor und sang mit.
»Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen …«
Dann sah er Hitler an einem Fenster stehen. Dunkel, nur erkennbar an seiner Haarsträhne. Er hob die Hand und grüßte zu den flammenden Kolonnen auf die Straße hinab. Hinter ihm sah man den Kopf Görings, Papens, Fricks …
»Heil!« schrie Heinrich Emanuel aus voller Kehle. »Heil! Heil!«
Er mußte einfach schreien. Alle um ihn herum schrien. Es steckte an, es war wie ein Fieber, das rasend übergriff von Körper zu Körper, ein Bazillus, der die Gedanken auflöste und hinausschleuderte in einem einzigen Schrei: »Heil!«
Drei Stunden marschierte er durch die Straßen. Schweißnaß, mit rußgeschwärztem Gesicht durch die Fackeln, etwas heiser vom vielen Schreien kam er nach Hause und fand seine Familie um das Radio versammelt. Sie verfolgte den Bericht vom Triumphmarsch der braunen Kolonnen.
»Wie siehst du denn aus?« fragte Amelia besorgt und sprang auf. »Wo kommst du denn her? Mein Gott – was haben sie wieder mit dir getan? Ganz schwarz haben sie dich gemacht. Bist du verletzt? Soll ich einen Arzt rufen?«
Erschöpft ließ sich Heinrich Emanuel in den Sessel fallen. Aus dem Radio dröhnte die Stimme des Sprechers:
»Die Kette der Fackeln reißt nicht ab. Hunderttausende müssen es sein, die jetzt durch Berlin marschieren, das Lied des Sieges auf den Lippen. Welch ein stolzer, mächtiger Anblick. Ein Volk hat sich zum Aufbruch durchgerungen. Unter Führung Adolf Hitlers marschiert es mit flammenden Herzen in eine helle Zukunft. – Schon wieder sehen wir Hunderte Standarten auf uns zukommen, die Fahnen knattern …«
Amelia drehte das Radio ab. »Dieser Hitler«, sagte sie etwas abfällig. Heinrich Emanuel hörte nicht den Zwischenton. Er war zu ermattet. Er nickte nur.
»Ein Wunder ist über Deutschland gekommen«, sagte er glücklich. Amelia starrte ihn entgeistert an.
»Bist du noch klar, Heinrich? Die SA, die dich umbringen wollte, vor der wir elf Wochen nach Trottowitz geflüchtet sind –«
»Ich bin eben in ihren Reihen marschiert. Ich haben mit ihnen gesungen, mit den braunen Kameraden. Amelia … jeder zweite von ihnen trug ein EK auf der Brust … es sind alles Frontkämpfer. Es sind Soldaten in der Uniform des neuen Reiches. Ich … ich …« Er wischte sich erschöpft über das rußige Gesicht. Seine Hand klebte von Schweiß und Fackelschmutz. »Ich habe mich geirrt. Ich lasse mich von den Millionen überzeugen. Wir müssen ein wenig umdenken, weiter nichts. Du sollst sehen: Dieser Hitler macht aus unserer Reichswehr einmal das stärkste Heer der Welt. Und ich werde in den Generalstab kommen. Ich weiß es jetzt …«
Nachdem er sich gewaschen hatte, bestellte er eine Taxe und ließ die ganze Familie hinein nach Berlin fahren. An der Reichskanzlei war kein Durchkommen mehr. Da stiegen sie aus und drängten sich mit den Menschenmassen zu dem Fenster, aus dem noch immer in Abständen Hitler hinabblickte und in die schreienden Massen grüßte.
»Seht euch das an, Kinder«, sagte Heinrich Emanuel zu Christian-Siegbert, Giselher-Wolfram und der kleinen Uta-Sieglinde. »Prägt es euch ein. So etwas
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