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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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war das Einzige, was ich getan ha t te, seit wir vom Friedhof zurückgekommen waren. Ich ve r lor den Verstand – ich wusste es. Wir verloren ihn beide …
    Pater Dunstan traf uns später genau so an; Großmu t ter noch immer schaukelnd und weinend, ich auf und ab la u fend, obwohl ich kurz damit aufhörte, um ihm die Tür zu öffnen. Hinter dem zerbrochenen Fenster regnete es in Strömen. Doch bald musste er wieder gehen, um den Gottesdienst zu halten – es war der einundzwa n zigste Juli, der Tag, an dem Stirling seine Erstkomm u nion hä t te feiern sollen, stattdessen jedoch beerdigt worden war.
    Pater Dunstan kam gegen eins zurück und kochte uns eine Suppe. Keiner von uns aß etwas davon. Während er leise mit Großmutter sprach, drehte ich weiter meine Runden in der Wohnung. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Ich sah zur Uhr, aber ich konnte die Zeit nicht ablesen. Ich versuchte, mich hinzusetzen und aus dem Fenster zu sehen, aber ich sprang wieder auf und lief weiter. Ich konnte nichts anderes tun.
    Ich hatte das Schlafzimmer bisher gemieden, aber ich wollte nicht mit Pater Dunstan sprechen, also marschierte ich hinein. Großmutter hatte den Quilt auf Stirlings zu ordentliches Bett gelegt. Seine Bibel lag auf dem Nach t tisch daneben, und seine Uniform hing gefaltet auf dem Stuhl neben meinem. An seinem Bettende standen seine Stiefel ordentlich nebeneinander, und die Schnürsenkel waren so angeordnet, dass sie sich nicht berührten. Seine Sachen sahen aus wie immer. Aber all ihr Leben war z u sammen mit Stirlings Seele entflohen. Die Stiefel würden nicht getragen werden, die Uniform würde säuberlich gefaltet bleiben und die Bibel niemals aufgeschlagen werden.
    Ich setzte mich auf mein Bett, griff nach Stirlings go l denem Taufarmband und zeichnete die Gravur mit me i nem Finger nach. › Stirling Gabriel North ‹ . Stirling Ga b riel North, acht Jahre, acht Monate, eine Woche und zwei Tage. Das war es. Er konnte niemals älter sein als das. So als wäre er an dem Punkt festgefroren, an dem sein L e ben geendet hatte. Ich weinte nun um den Me n schen, der er niemals sein würde. Aber ich weint e n icht lange. Ich konnte nicht. Ich lag auf dem Bett und drehte das Ar m band in den Händen. Schließlich hielt ich es nicht mehr länger in der Wohnung aus.
    Großmutter rief mir nach, als ich die Treppe hinunte r lief, doch Pater Dunstan sagte ruhig: »Lassen Sie ihn g e hen, Margaret.« Ich wusste nicht, wohin ich ging. Ich begegnete niemandem auf der Treppe. Auch der Hof war verlassen, nur der strömende Regen war dort. Ich setzte mich auf den schmierigen Rand der Dusche und legte den Kopf auf die Knie. Der Regen draußen war wie ein Klagelied, das verschiedene Töne anschlug, als er auf die Dächer, die Erde, die verrostete Wasserpumpe und die alten Fensterbretter traf. Von oben konnte ich das unu n terbrochene Geheul des Babys hören. Ich schloss die A u gen. Ich saß da und wünschte mir aus tiefster Seele, i r gendwo anders zu sein. Ich konnte es nicht länger ertr a gen, Leo North zu sein; es war zu viel. Ich hatte Angst, dass mein Herz brechen – wirklich brechen – würde, wenn ich weiter über Stirling nachdachte.
    Ich konnte nicht zu Gott beten, deshalb betete ich zu Aldebaran . Ich flehte ihn an, mich an einen anderen Ort zu bringen, so als wäre er ein Engel, der mich retten könnte. Mit aller Macht konzentrierte ich meinen Geist und meine Willenskraft darauf. Es vergingen lange M i nuten.
     
    Ich musste eine Stunde oder länger reglos dort gesessen sein. Vielleicht schlief ich ein; ich wusste es nicht. Aber auf jeden Fall träumte ich. Ich konnte Nebel vor meinen Augen sehen. Ich war mir sicher, dass ich träumte – dass es nicht wirklich passierte –, aber mehr als alles andere wusste ich, dass ich nicht aufwachen wollte. Duns t schwaden zogen wie Rauch an mir vorbei, und ich kämpfte darum, dass sie da blieben. Und mit einem Mal konnte ich weit entfernte Stimmen hören.
    Aldebaran vergaß, was er gerade tat, und starrte in den Nebel, der sich über den englischen Bergen verdichtete.
    »Und?«, fragte Ryan neben ihm.
    »Nichts«, sagte Aldebaran nach nur einem Moment des Zögerns und beugte sich wieder über den Motor des alten Autos. »Nichts. Versuch es noch mal.«
    Ryan drehte den Zündschlüssel um. Der Motor gab ein röchelndes Husten von sich. »Es wird immer kälter. Es ist Mitte Juli, aber genauso gut könnte es Winter sein.«
    »Das englische Wetter«, sagte Aldebaran. »Es

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