Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
ich überzeugt, dass man ihn befreien wird. Unter Umständen wie diesen bestehen wir nicht zwi n gend auf einem Einberufungsbefehl. Wenn Leonard nur der Form halber die Uniform anzieht und anschließend mit dem Sergeant spricht …«
Es war plötzlich zu laut, und ich wollte nichts von al l dem hören. Ich nahm die Uniform und ging nach oben, um sie anzuziehen. Ich konnte Pater Dunstan noch immer mit dem Soldaten diskutieren hören, aber zumindest war es hier in der Wohnung leiser.
Ich streifte die Uniform über. In der Jacke war etwas, das wie ein Einschussloch aussah. Ich fragte mich, ob sie sie von einem Toten genommen hatten. Es war mir egal. Mein Blick fiel auf Stirlings Taufarmband; ich nahm es, streifte es mir über den Arm und schob es nach oben, bis es neben meinem eigenen lag und die Namen › Leonard Joseph North ‹ und › Stirling Gabriel North ‹ Seite an Seite waren. Es war in Ordnung, denn man hatte mich ang e wiesen, etwas zu tun, und nun tat ich es. Ich hatte keine andere Wahl, also musste ich nicht nachdenken. Es re g nete noch immer – ich nahm meinen Mantel und zog ihn ebenfalls an.
Sie standen im Eingang, als ich nach unten kam.
»Wohin bringen Sie ihn?«, wollte Pater Dunstan wi s sen.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte der G e freite. »Dies ist eine vertrauliche Operation – ich kann Ihnen nicht sagen, wo die Truppen stationiert werden.«
»An der Grenze?«, schrie Großmutter. »Sie bringen sie an die Grenze, nicht wahr? Sie können ihn nicht mi t nehmen! Er wird das Stille Fieber bekommen und ste r ben. Bitte lassen Sie ihn in der Stadt.«
Der Soldat bemühte sich, sie zu beruhigen, aber sie jammerte weiter. »Sergeant Daniros wird ihn vermutlich sofort wieder nach Hause schicken.« Er wandte sich mir zu. »Komm jetzt mit und sprich mit ihm.«
Ich ging zur Tür, gefolgt von dem Gefreiten und d a hinter Großmutter und Pater Dunstan. Eine Gruppe So l daten drängte sich an die Vorderwand des Hauses, um Schutz vor dem Regen zu suchen, der in alle Richtungen peitschte. Es waren etwa zwanzig – Kadetten wie ich und alle in Soldatenuniformen.
»Leonard North?«, fragte ein Mann – der Sergeant – und sah dabei auf ein durchweichtes Blatt Papier hinu n ter.
Der andere Soldat nickte. »Das ist er. Sir, dieser Ju n ge …«
»Ich will, dass Sie die anderen einsammeln und dann zu uns stoßen«, unterbrach ihn der Sergeant. »Wir sind spät dran. Gehen Sie jetzt. Hier ist die Liste.«
Der Soldat warf mir einen Blick zu, dann hetzte er durch den Regen davon. Der Sergeant wandte sich uns zu.
Großmutter hing an meinem Arm und weinte unve r hohlen. »Ich werde ihn nicht gehen lassen!«, sagte sie zu dem Sergeant. »Das werde ich nicht.«
»Ich denke wirklich, dass Leonard hier in der Stadt besser aufgehoben wäre«, begann Pater Dunstan und trat näher an den Sergeant heran. »Die Situation ist nämlich die, dass – «
»Ich will nichts über seine Situation hören«, fiel ihm der Sergeant ins Wort. »Wir haben in jedem einzelnen verdammten Haus solche Szenen erlebt.«
»Aber, Sir – « , setzte Pater Dunstan wieder an.
»Hören Sie mir zu. Der Junge selbst scheint kein Pro b lem mit seiner Einberufung zu haben. Wenn er sich uns nicht anschließen will, dann können wir über seine Situ a tion reden. Wenn er jedoch mitkommen will, gibt es nichts weiter zu diskutieren. North, möchtest du dich uns anschließen?«
Sie starrten mich schweigend an. Ich sah von Gro ß mutter, auf deren Gesicht sich Tränen und Regen ve r mischten, zu Pater Dunstan, der noch immer streitlustig wirkte. Ich wandte mich wieder dem Sergeant zu, der das als Einverständnis wertete.
»Gut«, sagte er und klatschte in die Hände. »Lasst uns gehen. Los, Jungs!«
Nach kurzem Zögern folgte ich ihnen. Hinter uns weinte Großmutter, und ein paar der Kadetten sahen zu ihr zurück, mieden dabei jedoch meinen Blick. An der Ecke drehte ich mich für einen Moment um, und sie machte ein paar Schritte auf mich zu, wobei sie mir die Arme entgegenstreckte wie ein Kind.
»Beeil dich!«, rief der Sergeant, und ich gehorchte.
Vielleicht hätte ich mit ihm sprechen sollen. Vielleicht hätte ich mich weigern sollen mitzugehen. Aber als der Gefreite schließlich wieder auftauchte, schien er es ve r gessen zu haben. Und ich wollte nicht sprechen, ich konnte nicht. Also gab es nichts, das ich tun konnte. Das war der Grund, warum ich mitging. Ich hatte keine and e re Wahl.
Die Stimmung in der kleinen Gruppe war
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