Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Knien im Gras lag, und die Tränen strömten mir übers Gesicht. Der Schmerz in meinem Herzen war so schlimm, dass ich glaubte zu sterben. Ich überlegte, ob ich es vielleicht wirklich gerade tat. Man kann sterben, nur indem man sich wünscht, tot zu sein. Als ich ungefähr vier war, hatten wir einen Hund, der auf diese Weise gestorben ist. Meine Eltern hatten seinen einzigen Welpen verkauft, und er lag anschließend ei n fach wie ein Stein auf seiner Matte, bis er eines Tages nicht mehr aufwachte. Genauso fühlte ich mich jetzt. So, als ob mein Herz einfach aufhören würde zu schlagen, wenn ich daran dachte, dass Stirling tot war.
Und dann hörte ich jemanden ganz in der Nähe spr e chen. Ich drehte mich um. Aber da war niemand. Es war wieder Die Stimme, die jetzt völlig anders sprach als z u vor. »Wenn du es nach Kalitzstad zurückschaffst, wird alles wieder in Ordnung sein. Geh in die Stadt zurück, dann wirst du schon sehen.« Ich war noch nicht mal übe r rascht darüber, wie laut sie klang. Es interessierte mich nicht.
Meine Beine zitterten, und meine Hände wurden lan g sam so schwach, dass sie die Waffe kaum noch halten konnten. Ich weiß nicht, warum ich nicht zuließ, dass ich an Stirling dachte, sondern mich stattdessen noch immer weinend dazu zwang, aufzustehen und über den Zaun zu klettern, bevor ich anschließend losmarschierte. Vermu t lich aus demselben Grund, aus dem ich erstarrt war, als der Sergeant den Schuss abgegeben hatte.
Nicht, weil ich am Leben hing, sondern weil das L e ben mich noch immer in Besitz hatte.
Während ich über das offene Land stolperte, flehte ich Die Stimme an, mich zu beschützen, mich irgen d wo a n ders hinzuführen, damit ich nicht nachdenken musste. Ich erinnerte mich an den Traum – der engl i sche Nebel, das Mädchen, der Prinz und Aldebaran. Ich wollte in eine Zeit zurückkehren, bevor Stirling gesto r ben war, oder an einen Ort, wo keiner von uns existie r te – weder Stirling noch Großmutter oder der Sergeant, auf den ich geschossen hatte, noch ich selbst, Leo North. Ich ko n zentrierte all meine Willenskraft darauf. Vielleicht lag es daran, dass ich so müde war, aber ich fing an, Bilder zu sehen. Aldebaran, der an einem Tisch in diesem anderen Land saß und Papiere durc h sah. Den Prinzen, der neben ihm stand. Das Mädchen, Anna, das tanzte …
»Ryan, du passt nicht auf.« Aldebaran schob seinen Stuhl zurück.
»Was?« Ryan drehte sich zu ihm um.
Aldebaran schloss das Buch und trat neben ihn an das Fenster. »Wohin siehst du?«
»Nur zum Hotel.« Ryan deutete auf das weiße Stei n gebäude, das einen halben Kilometer entfernt am Ufer des Sees stand. »Entschuldige, Onkel, ich war mit den Gedanken woanders.«
»Soll ich sie dir noch mal vorlesen? Ich bin gerade die Nachrichten von unseren Verbündeten durchgegangen. Ich wollte deine Meinung darüber wissen, ob wir ihre geplante Sabotagekampagne stillschweigend billigen oder ihnen sagen sollen, dass sie warten müssen, bis de i ne Rückkehr ins Land unmittelbar bevorsteht. «
»Onkel, was auch immer ich sage, du wirst trotzdem das tun, was du selbst für das Beste hältst.«
»Das mag sein, aber ich will trotzdem deine Meinung daz u w issen. Es wird der Tag kommen, an dem du allein regieren musst. Ryan, du hörst schon wieder nicht zu.«
»Dieses Mädchen, das wir getroffen haben … Diese Anna …«
»Was ist mit ihr?«
»Warum hast du sie so angesehen? So, als wäre dir der Name Devere bekannt vorgekommen.«
Aldebaran setzte sich wieder hin und betrachtete nachdenklich den Füller in seiner Hand. Schließlich sagte er: »Wenn ich es dir erzähle, wirst du es nicht an sie we i tergeben. Ich weiß, dass du dort gewesen bist und mit ihr gesprochen hast.«
»Ich bin heute Morgen zufällig am Hotel vorbeigela u fen, das ist alles.«
»Dies ist eine ernste Angelegenheit. Verstehst du das? Du behältst es für dich!«
Der Junge zögerte einen Moment. Dann sah er Ald e baran fest in die Augen. »Ja, Onkel. Ich verstehe.«
Anna drehte inmitten des leeren Speisesaals Pirouetten, und ihre Augen waren auf das Fenster gerichtet, an dem Ryan stand. Aus dieser Entfernung konnte sie nicht s e hen, dass er dort war, aber die Scheibe reflektierte das Sonnenlicht, und sie fixierte den Blick darauf, um ihre Position zu halten. »Kommst du bitte und hilfst mir mit der Bügelwäsche?«, rief Monica aus der Küche, doch Anna hörte sie nicht.
Erst als Monica nach ihrem Arm griff, wirbelte sie e r
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