Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
bis zum letzten Wort, das der alte Mann gesprochen hatte, dieselbe wie in meinem Traum. Und in dem Buch ging die Geschichte weiter.
Raymond genoss es, einem so aufmerksamen Zuhörer von seinen Waffen zu erzählen. »Ja«, fuhr er fort. »Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass jemand eine funktionierende Nachbildung zumindest einer der einfacheren Waffen anfertigen könnte, vorausgesetzt, er verfügt über ausreichend Zeit, Geld und Geduld.«
Field gab keine Antwort. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Raymond, um das nervtötende Starren des Mannes zu unterbrechen. Endlich setzte er sich. »Darf ich fragen, weshalb Sie sich so sehr dafür interessieren?«
»Oh …« Der Besucher lachte zerstreut. »Ohne echten Grund – nur aus reiner Neugier. Es scheint ein recht sel t sames Verbrechen zu sein.«
»Ja, es war wirklich seltsam«, bestätigte Raymond. Dann erinnerte er sich plötzlich wieder, weshalb der Mann hier war. »Was nun die Butlerstelle betrifft …«
»Oh, ja … natürlich.« Doch das nachdenkliche Stir n runzeln verschwand nicht vom Gesicht des Besuchers.
»Hören Sie. Ich würde Sie gern einstellen, aber wie Sie sagen, verfügen Sie weder über eine Ausbildung noch über Erfahrung. Haben Sie denn ansonsten irgen d welche Referenzen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe in einem a n deren Land und in einem vollkommen anderen Täti g keitsfeld gearbeitet. Ich dachte nicht, dass ich irgen d wann einmal Referenzen brauchen würde.«
»Wo haben Sie gearbeitet?«
»In Australien. Tatsächlich war ich bei der Armee.«
»Bei der Armee!« Raymond beugte sich gespannt nach vorn.
»Deshalb also Ihre Reaktion, als ich Sie fragte, ob Sie sich für Waffen interessieren …«
Der Mann lachte und entblößte dabei all seine Zähne, was ihm das Aussehen eines Totenschädels verlieh. »G e nau.«
»Sie waren demzufolge bei den australischen Strei t mächten?«
»Nein. Ich bin kein Australier.«
»Was haben Sie dann dort gemacht? Trainiert?«
Der Mann nickte. »In der Wüste … der australischen Wüste.«
»Was haben Sie davor gemacht? Verzeihen Sie, dass ich frage, aber ich interessiere mich sehr für das Militär.«
»Davor? Wir haben … Sie wissen schon … Operati o nen durchgeführt.«
»Andere als militärische?«, fragte Raymond.
»Ja. Wie schnell man diese Dinge vergisst! Ja, wir h a ben in verschiedenen Ländern gearbeitet – ich fürchte, ich kann Ihnen keine Details nennen. Es war alles streng geheim.«
»Natürlich.« Raymond sah den Fremden mit wachse n dem Respekt an. »Nun, noch einmal zurück zu diesem Job, Mr. Field. Ich würde Sie gerne einstellen – ich sehe, Sie sind ein ehrenwerter Mann –, aber wenn Sie über keinerlei Ausbildung verfügen, kann ich Ihnen nicht da s selbe zahlen wie einem erfahrenen Butler.«
»Ich glaube, dass wir uns missverstanden haben. Ich erwarte keine Bezahlung.«
Raymond sah ihn verwirrt an.
»Mir geht es nicht um Geld. Ich strebe lediglich d a nach, Erfahrungen zu sammeln. Ich nehme an, dass, für welchen Bewerber auch immer Sie sich entscheiden, er hier wohnen wird?«
»Natürlich.«
»Um mehr als das bitte ich nicht. Ich dachte nicht, dass Sie annehmen würden, ich würde Geld verdienen wollen, solange ich noch in der Ausbildung bin.«
»Ich kann Sie nicht umsonst hier arbeiten lassen«, w i dersprach Raymond.
»Sie sagten gerade, dass Sie niemanden bezahlen könnten, der über keinerlei Erfahrung verfügt.«
»Ich meinte, dass ich niemanden einstellen kann, der über keinerlei Erfahrung verfügt.« Aber Raymond wus s te, dass er es dennoch tun würde. Er stand unter dem Bann dieses eigenartigen Mannes; die unheimlichen grauen Augen, das Totenkopf – lächeln und der Verstand hinter der Maske beiläufiger Gleichgültigkeit hatten ihn gefa n gen genommen, und er würde Arthur Field wider bessere Einsicht in seine Dienste nehmen.
Später betrachtete sich der frischgebackene Butler im Spiegel und lächelte grimmig. Er mochte weder Unifo r men noch Speichelleckerei, und ebenso wenig gefiel es ihm, von Menschen, die nur halb so intelligent waren wie er, als ehrenwerter Mann bezeichnet zu werden.
Aber Überheblichkeit hat noch keinem geholfen, sagte er sich, während er ungeduldig das neue schwarze Jackett zurechtrückte. Er war wirklich überheblich. Hier hatte er Sicherheit, Arbeit, Essen und ein Dach über dem Kopf – und nicht zuletzt ein Versteck. Hier war er am Leben. Er stülpte eine Maske der Unterwürfigkeit
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