Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mansfield Park

Mansfield Park

Titel: Mansfield Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
Vom Netzwerk:
überrascht und gekränkt, ich hätte darin eine grobe Verletzung der primitivsten Kindespflicht erblickt. Du, Fanny, kannst nicht nach diesem Maßstab beurteilt werden. Du schuldest mir nicht den Gehorsam einer Tochter. Aber wenn dein eigenes Herz dich von Undankbarkeit freisprechen kann …»
Er schwieg. Fanny schluchzte jetzt so bitterlich, daß er trotz all seinem Zorn nicht fortfahren mochte. Bei der Vorstellung, wie er sie jetzt ansehen mußte, wollte ihr schier das Herz brechen. Diese furchtbaren, vielfachen, immer schwerer wiegenden Anklagen! Eigensinnig, trotzig, selbstsüchtig, undankbar – so erschien sie jetzt in seinen Augen. Sie hatte seine Erwartungen enttäuscht, seine gute Meinung verscherzt – was sollte aus ihr werden?
«Es tut mir so leid …» stammelte sie undeutlich durch ihre Tränen. «Es tut mir so furchtbar leid …»
«Es tut dir leid! Das kann ich nur hoffen. Und du wirst aller Voraussicht nach noch lange Anlaß haben, deine heutige Aufführung zu bedauern.»
«Wenn es mir nur möglich wäre …», sagte sie, sich mühsam zusammennehmend. «Aber ich weiß so sicher, daß ich ihn niemals glücklich machen könnte – und ich selber wäre todunglücklich …»
Ein neuer Tränenstrom unterbrach sie. Aber trotz diesem Ausbruch und trotz dem großen, schwarzen Wort «todunglücklich», das ihn auslöste, begann Sir Thomas zu denken, ob nicht die Tränen eine winzige Lockerung ihrer starren Haltung, eine ganz kleine Sinnesänderung einleiteten. Eine weitere persönliche Unterredung mit dem jungen Mann erschien ihm jetzt erfolgversprechend. Er wußte, daß Fanny sehr schüchtern und überaus zartbesaitet war, und hielt es nicht für unwahrscheinlich, daß bei ihrem jetzigen Gemütszustand ein wenig Zeit, ein wenig Drängen, ein wenig Geduld, ein wenig Ungeduld, eine klug dosierte Mischung all dieser Ingredienzien von Seiten des Liebhabers, die übliche Wirkung erzielen würden. Wenn der junge Mann nur Ausdauer bewies, wenn er sie innig genug liebte, um ausdauernd zu bleiben – Sir Thomas schöpfte neue Hoffnung und heiterte sich zusehends auf. «Nun», sagte er mit geziemendem Ernst, aber viel freundlicher, «trockne deine Tränen, Kind. Es hat keinen Zweck, zu weinen, das kann dir nicht guttun. Du mußt jetzt mit mir hinunterkommen. Mister Crawford wartet schon allzulange. Er hat ein Recht darauf, deine Antwort von dir selbst zu hören. Niemand außer dir kann ihm die Ursache der Voreingenommenheit erklären, die du leider gegen ihn gefaßt hast. Ich persönlich bekenne mich dazu unfähig.»
Aber Fanny weigerte sich so verzweifelt, jetzt vor Mr. Crawford zu erscheinen, daß Sir Thomas es nach einiger Überlegung für besser hielt, ihr nachzugeben. Das dämpfte seine Hoffnung etwas herab. Doch als er seine Nichte betrachtete und ihr verweintes Gesicht sah, meinte er selbst, daß eine augenblickliche Begegnung ebensoviel Schaden wie Nutzen bringen könnte. So verließ er das Zimmer mit ein paar Worten ohne besondere Bedeutung und ließ seine arme Nichte im kläglichsten Zustand zurück.
In ihrem Gemüt herrschte ein schreckliches Durcheinander. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – alles schien gleich trostlos. Am tiefsten kränkte sie der Zorn ihres Onkels. Daß sie ihm selbstsüchtig und undankbar erscheinen mußte! Nie wieder konnte sie glücklich werden! Sie hatte niemanden, der für sie eintrat, keinen Verteidiger, der ihre Sache verfocht. Ihr einziger Freund war abwesend. Er wäre vielleicht imstande gewesen, seinen Vater zu besänftigen – aber vielleicht würde auch er, würden alle, alle sie für selbstsüchtig und undankbar halten, so daß sie den furchtbaren Vorwurf immer aufs neue ertragen, ihn in allem, was sie betraf, hören und sehen und fühlen müßte. Und ihr Groll begann sich gegen Mr. Crawford zu richten, der daran schuld war … Doch wenn er sie wirklich liebte und ebenfalls unglücklich wäre! Ach, alles war ein einziger, unausdenkbarer Jammer!
Nach etwa einer Viertelstunde kam ihr Onkel zurück. Fanny wäre bei seinem Anblick beinahe in Ohnmacht gefallen. Er sprach jedoch ruhig, ohne Strenge und ohne Vorwürfe, und das gab ihr ein wenig Mut. Und nicht nur der Ton, auch der Inhalt seiner Rede brachte ihr Trost, denn er begann mit den Worten: «Mr. Crawford ist gegangen. Er hat sich soeben von mir verabschiedet. Es erübrigt sich, unsere Unterhaltung wiederzugeben. Ich möchte deine augenscheinliche Betrübnis nicht noch durch eine Schilderung seiner Empfindungen

Weitere Kostenlose Bücher