Mansfield Park
Bewegung zurück, die sie nicht in Worte zu fassen vermochte. Die Erinnerung an ihre allerersten Freuden und an den Schmerz, den sie durchlitt, als sie von allem losgerissen wurde, überkam sie mit ganz neuer Gewalt, und es dünkte sie, daß die Heimkehr jeden Kummer heilen müßte, den sie seither erlebt hatte. Mitten unter ihren engsten Angehörigen zu weilen, von so vielen Menschen geliebt zu werden und von allen mehr Liebe zu empfangen als je zuvor; selber ohne Scheu und Zurückhaltung lieben zu dürfen, sich im Familienkreis als Gleichwertige zu fühlen und vor allem vor den Crawfords Ruhe zu haben; keines Blickes oder Wortes gewärtig sein zu müssen, die sie als Vorwurf oder Drängen empfand – das waren Aussichten, denen sie sich mit solcher Innigkeit hingab, daß sie nur in Andeutungen darüber zu sprechen vermochte.
Und auch Edmund – zwei Monate von ihm getrennt zu sein (und vielleicht würde man ihr noch einen dritten Monat konzedieren), mußte ihr guttun. In sicherer Entfernung, wo sein Anblick und seine Güte sie nicht täglich neu erschütterten, wo sie nicht mehr der ständigen Qual ausgesetzt war, in seiner Seele zu lesen und von ihm ins Vertrauen gezogen zu werden, würde sie sicherlich imstande sein, sich zur Vernunft durchzuringen; es würde ihr leichter fallen, ohne tiefe Verzweiflung an seine Reise nach London und alles, was daraus folgen mußte, zu denken. Was in Mansfield schwer zu ertragen wäre, würde in Portsmouth gar nicht schlimm sein.
Der einzige dunkle Punkt war ihre Befürchtung, daß Tante Bertram sich ohne sie nicht behaglich fühlen würde. Ansonsten brauchte sie niemand, aber ihre Tante mußte sie so schmerzlich vermissen, daß sie kaum daran denken mochte. Dieser Teil des Projektes war auch für Sir Thomas am schwersten durchzuführen, und niemand anderer als er hätte ihn überhaupt bewältigt.
Doch in Mansfield Park war er Herr und Meister. Wenn er etwas fest beschlossen hatte, konnte er es immer durchsetzen. Auch jetzt brachte er durch langes, geduldiges Zureden, durch liebevolle Erklärungen und vernünftige Argumente, daß es Fannys Pflicht sei, auch einmal ihre Eltern zu besuchen, seine Frau dazu, sie gehen zu lassen. Er verdankte ihre Einwilligung aber mehr ihrer Fügsamkeit als ihrem Einsehen, denn Lady Bertram sah nicht viel mehr ein, als daß Sir Thomas es für richtig hielt, Fanny wegzuschicken, und so mußte es eben sein. In der Stille ihres Ankleidezimmers, im unparteiischen Fluß ihrer eigenen, durch keinerlei verwirrende Argumente beeinflußten Gedanken, konnte Lady Bertram einfach nicht begreifen, warum es notwendig sein sollte, daß Fanny Vater und Mutter besuchte, die so lange ohne sie ausgekommen waren, während sie selber sie doch dringend brauchte. – Und daß sie ihre Nichte nicht vermissen würde, was Mrs. Norris ihr in allen Diskussionen zu beweisen suchte, leugnete sie mit ganz ungewohnter Festigkeit.
Sir Thomas hatte an ihre Vernunft, ihr Gewissen und ihre Würde appelliert. Er gab zu, daß es ein Opfer bedeute, und forderte dieses Opfer von ihrer Güte und Selbstverleugnung. Mrs. Norris jedoch wollte sie davon überzeugen, daß man Fanny ohne weiteres entbehren könnte (wo doch sie bereit war, ihre eigene Zeit ganz zu Verfügung zu stellen!) und daß bestimmt niemand sie brauchen oder vermissen werde.
«Das kann schon sein, Schwester», antwortete Lady Bertram jedesmal. «Du hast sicherlich recht, aber mir wird sie sehr fehlen.»
Der nächste Schritt bestand darin, sich mit Portsmouth in Verbindung zu setzen. Fanny schrieb selbst, um ihren Besuch anzukündigen; und die Antwort ihrer Mutter war zwar kurz, aber so liebevoll, ein paar einfache Zeilen drückten eine so natürliche, mütterliche Freude über die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihrem Kind aus, daß die Tochter sich in all ihren Glückshoffnungen bestärkt sah. Es stand für sie fest, daß sie jetzt die verständnisvollste, zärtlichste Freundin in der «Mama» finden würde, die ihr freilich früher niemals besondere Zärtlichkeit bezeugt hatte – doch das war gewiß ihre eigene Schuld oder eine Einbildung gewesen. Wahrscheinlich hatte sie sich die Liebe der Mutter durch die Ungeschicklichkeit und Schwierigkeit ihres schüchternen Wesens entfremdet oder unvernünftigerweise einen größeren Anteil verlangt, als einem einzelnen Kind unter so vielen zukam. Nun, da sie es besser verstand, sich nützlich zu machen und sich zu bescheiden, und da ihre Mutter wohl nicht mehr von den
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