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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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sein, nach oben zu gehen, wie er es getan
hat, und ihren Platz im Kontor einzunehmen. Alle müssen warme und anständige
Kleidung bekommen und angehalten werden, sie zu tragen und nicht zu verkaufen,
denn er erinnert sich aus seinen Tagen in Lambeth an die durchdringende Kälte
in den Vorratskammern; aber auch in Wolseys Küchen in Hampton Court, wo die
Kamine gut ziehen und die Hitze nicht entweichen lassen, hat er vereinzelt
Schneeflocken in den Deckensparren treiben und sich auf Simsen niederlassen
sehen.
    Wenn er in der frischen
Morgendämmerung mit seinem Gefolge von Schreibern aus dem Haus kommt,
versammeln sich die Londoner bereits. Sie treten zurück und beobachten ihn,
weder freundlich noch feindlich. Er ruft ihnen »Guten Morgen« zu und »Gott
segne euch«, und einige rufen »Guten Morgen« zurück. Sie nehmen ihre Kappen ab,
und weil er ein Berater des Königs ist, bleiben sie ohne Kopfbedeckung stehen,
bis er vorbeigegangen ist.
     
    Oktober: Monsieur Chapuys, der
Botschafter des Kaisers, kommt zum Essen nach Austin Friars, und Stephen
Gardiner steht auf der Tagesordnung. »Kaum nach Winchester berufen und schon
ins Ausland geschickt«, sagt Chapuys. »Und wird König Francois ihn mögen, was
denken Sie? Was kann er als Diplomat ausrichten, das Sir Thomas Boleyn nicht
kann? Obwohl ich vermute, dass dieser partipris ist. Da er ja der Vater der Dame ist. Gardiner ist
eher ... ambivalent, würden Sie nicht auch sagen? Eher neutral, das ist das
richtige Wort. Ich sehe nicht, welchen Vorteil König Francois daraus ziehen
könnte, sollte er die Heirat befürworten, es sei denn, Ihr König würde ihm
etwas anbieten. Und was? Geld? Kriegsschiffe? Calais?«
    Mit dem Haushalt bei Tisch hat
Monsieur Chapuys angenehm über Poesie, Porträtmalerei und seine Universitätsjahre
in Turin geplaudert; mit Rafe, dessen Französisch hervorragend ist, hat er über
die Falknerei gesprochen, da dieses Thema junge Männer vermutlich interessiert.
»Sie müssen einmal mit unserem Herrn gehen«, teilt Rafe ihm mit. »Die Falknerei
ist in diesen Tagen fast seine einzige Entspannung.«
    Monsieur Chapuys richtet seine
aufgeweckten kleinen Augen auf ihn. »Inzwischen spielt er königliche Spiele.«
    Sie stehen vom Tisch auf und
Chapuys lobt das Essen, die Musik, die Einrichtung. Man kann sein Gehirn
arbeiten sehen, man kann ein leises Klicken wie beim Mechanismus eines
komplizierten Schlosses hören, als er seine Beobachtungen im Geiste schon
verschlüsselt, um sie seinem Herrn, dem Kaiser, in einer geheimen Botschaft
mitzuteilen.
    Später in seinem Kabinett
lässt der Botschafter seinen Fragen freien Lauf, redet drauflos, wartet nicht
auf Antworten. »Wenn der Bischof von Winchester in Frankreich ist, was macht
Henry dann ohne seinen Sekretär? Master Stephens Mission wird nicht kurz sein.
Vielleicht ist das Ihre Chance, noch näher an ihn heranzukommen, was glauben
Sie? Sagen Sie, ist es wahr, dass Gardiner Henrys unehelicher Cousin ist? Und
Ihr Junge Richard auch? Solche Dinge verwirren den Kaiser. Ein König, der so
wenig königlich ist. Vielleicht ist es kein Wunder, dass er danach trachtet,
eine arme Dame zu heiraten.«
    »Ich würde Lady Anne nicht arm
nennen.«
    »Es stimmt, der König hat ihre
Familie reich gemacht.« Chapuys grinst. »Ist es in diesem Lande üblich, das
Mädchen im Voraus für seine Dienste zu bezahlen?«
    »Das ist es in der Tat - und
Sie sollten daran denken. Es würde mir wirklich leid tun, wenn ich zusehen
müsste, wie man Ihnen auf der Straße hinterherjagt.«
    »Sie beraten sie, Lady Anne?«
    »Ich überprüfe die
Buchhaltung. Das ist keine große Sache - ein Gefallen für eine gute Freundin.«
    Chapuys lacht fröhlich. »Eine
Freundin! Sie ist eine Hexe, wissen Sie das? Sie hat den König in ihren Bann
geschlagen, sodass er alles riskiert - den Ausschluss aus der Christenheit, die
Verdammnis. Und ich glaube, halb weiß er es. Ich habe ihn gesehen, wenn ihr
Blick auf ihm liegt: Sein Verstand zerstreut und verflüchtigt sich, seine Seele
windet und krümmt sich wie ein Hase im Angesicht eines Falken. Vielleicht hat
sie auch Sie verzaubert.« Monsieur Chapuys beugt sich vor und stützt sich auf
seine Hand, auf seine kleine Affenpfote. »Brechen Sie den Bann, mon eher ami. Sie werden es nicht bereuen.
Ich diene einem sehr freigebigen Fürsten.«
     
    November: Sir Henry Wyatt
steht in der Halle von Austin Friars; er blickt auf die leere Stelle an der
Wand, wo das Wappen des Kardinals übermalt wurde.

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