Mantel, Hilary
ist, kommt
Nennt-mich-Risley energischen Schrittes nach Austin Friars. Er bellt: »Wünsche
Ihnen einen guten Morgen, Sir«, wirft seine Jacke ab, setzt sich an seinen
Schreibtisch und schrammt mit dem Stuhl nach vorn. Er nimmt die Feder auf und
betrachtet ihre Spitze. »Gut, was haben Sie für mich?« Seine Augen funkeln, und
seine Ohrläppchen sind rosa.
»Ich denke mir, Gardiner muss
wieder da sein«, sagt er.
»Woher wussten Sie das?«
Nennt-mich wirft seine Feder hin. Er springt auf. Er läuft hin und her. »Warum
ist er so, wie er ist? Dieses ganze Gerangel und Gerassel und Absondern von
Fragen, wenn die Antworten ihm völlig egal sind.«
»Es gefiel Ihnen doch sehr
gut, als Sie in Cambridge waren.«
»Ach, damals«, sagt
Wriothesley mit Verachtung für sein jüngeres Selbst. »Es soll unseren Geist
schulen. Ich weiß nicht.«
»Mein Sohn behauptet, sie hat
ihn zermürbt, diese Übung der gelehrten Disputation. Er nennt sie die Übung
des sinnlosen Wortklaubens.«
»Vielleicht ist Gregory nicht
komplett dumm.«
»Das würde mich wirklich freuen.«
Nennt-mich läuft tiefrot an.
»Das sollte keine Beleidigung sein, Sir. Sie wissen, dass Gregory nicht ist wie
wir. So, wie diese Welt beschaffen ist, ist er zu gut. Aber man muss auch nicht
gerade wie Gardiner sein.«
»Wenn sich die Berater des
Kardinals trafen, stellten wir Pläne zur Diskussion, vielleicht gab es etwas
Streit, aber wir sprachen die Sache durch, dann verfeinerten wir unsere Pläne
und führten sie aus. Der Kronrat funktioniert nicht so.«
»Wie könnte er? Norfolk?
Charles Brandon? Sie bekämpfen Sie, weil Sie sind, wer Sie sind. Selbst wenn
sie mit Ihnen übereinstimmen, bekämpfen sie Sie. Selbst wenn sie wissen, dass
Sie recht haben.«
»Ich vermute, Gardiner hat
Ihnen gedroht.«
»Mit dem Ruin.« Er ballt eine
Hand zur Faust und legt sie in die andere. »Ich beachte es gar nicht.«
»Aber das sollten Sie.
Winchester ist ein mächtiger Mann, und wenn er sagt, er wird Sie ruinieren,
dann ist genau das seine Absicht.«
»Er nennt mich illoyal. Er
sagt, während er im Ausland war, hätte ich seine Interessen fördern sollen,
nicht Ihre.«
»Mein Verständnis der
Situation ist, dass Sie dem Ersten Sekretär dienen, wer immer diese Funktion
ausübt. Wenn ich«, er zögert, »wenn ... Wriothesley, ich mache Ihnen folgendes
Angebot: Wenn ich auf dem Posten bestätigt werde, vertraue ich Ihnen das Siegel
an.«
»Ich soll leitender
Siegelbeamter werden?« Er sieht, wie Nennt-mich schon die Gebühren
zusammenrechnet.
»Jetzt gehen Sie zu Gardiner,
entschuldigen sich und bringen ihn dazu, Ihnen ein besseres Angebot zu machen.
Setzen Sie nicht alles auf eine Karte.«
Mit einem erschrockenen
Gesichtsausdruck verweilt Nennt-mich noch. »Laufen Sie, Junge.« Er hebt die
Jacke auf und wirft sie ihm zu. »Er ist immer noch Sekretär. Er kann seine
Siegel zurückbekommen. Sagen Sie ihm nur, dass er herkommen und sie persönlich
abholen muss.«
Nennt-mich lacht. Er reibt
sich benommen die Stirn, als hätte er sich geprügelt. Er wirft sich die Jacke
über. »Wir sind hoffnungslos, nicht wahr?«
Unverbesserliche Raufbolde.
Wölfe, die über einem Kadaver zuschnappen. Löwen, die sich um Christen
streiten.
Der König bestellt ihn zu
sich, zusammen mit Gardiner, er will die Gesetzesvorlage durchsehen, die er im
Parlament einzubringen gedenkt, um die Nachfolge von Annes Kindern abzusichern.
Die Königin ist bei ihm; viele Privatmänner sehen ihre Frauen seltener als der
König, denkt er. Er reitet, Anne reitet. Er jagt, Anne jagt. Sie nimmt seine
Freunde und macht sie zu den ihren.
Sie hat die Angewohnheit, über
Henrys Schulter hinweg zu lesen; das tut sie jetzt, und ihre forschende Hand
gleitet über seine seidige Masse, durch die Lagen seiner Kleidung, sodass sich
ein zierlicher Fingernagel unter dem bestickten Kragen seines Hemdes verhakt;
dann hebt sie den Stoff einen Hauch, nur ein winziges Stück über der blassen
königlichen Haut hoch; Henrys riesige Hand gleitet nach oben, um ihre Hand zu
streicheln, eine geistesabwesende, träumerische Bewegung, als wären sie
allein. Der Entwurf bezieht sich immer wieder und, wie man denken würde, völlig
korrekt auf »Eure
teuerste und überaus geliebte Gemahlin Königin Anne«.
Der Bischof von Winchester
glotzt. Als Mann kann er sich nicht von dem Schauspiel losmachen, und doch
bringt es ihn als Bischof dazu, sich zu räuspern. Anne nimmt davon keine Notiz;
sie macht weiter mit dem, was sie
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