Mantel, Hilary
Stellung in der Welt. Dieses Jahr wird sie dreiunddreißig,
soweit er weiß. Wie viele Jahre hat er über ihre flache Brust und ihre gelbe
Haut gelacht? Jetzt, da sie Königin ist, kann selbst er ihre Schönheit sehen.
Ihr Gesicht wirkt in der Klarheit seiner Linien wie gemeißelt; ihr Schädel ist
klein wie der einer Katze; ihr Hals hat ein mineralisches Glitzern, als wäre er
mit Katzengold gepudert.
Henry sagt: »Stephen ist ein
energischer Botschafter, ohne Frage, aber ich kann ihn nicht in meiner Nähe
behalten. Ich habe ihm meine geheimsten Gedanken anvertraut, und jetzt wendet
er sich ab.« Er schüttelt den Kopf. »Ich hasse Undankbarkeit. Ich hasse
Illoyalität. Das ist der Grund, aus dem ich einen Mann wie Sie schätze. Sie
waren gut zu Ihrem früheren Herrn in seiner Not. Nichts könnte Sie mir mehr
empfehlen als das.« Er spricht, als ob nicht er persönlich diese Not verursacht
hätte, als wäre Wolseys Fall durch einen Blitzschlag herbeigeführt worden.
»Ein anderer, der mich enttäuscht hat, ist Thomas More.«
Anne sagt: »Wenn Sie Ihr
Ausnahmegesetz gegen die falsche Prophetin Barton schreiben, fügen Sie More
neben Fishers Namen ein.«
Er schüttelt den Kopf. »Das wird
nicht durchgehen. Das Parlament wird es nicht dulden. Es gibt sehr viele
Beweise gegen Fisher, und das Unterhaus mag ihn nicht, er spricht zu ihnen, als
wären sie Türken. Aber noch bevor Barton verhaftet wurde, ist More zu mir
gekommen und hat mir bewiesen, dass er in dieser Sache unbelastet ist.«
»Aber es wird ihm Angst
machen«, sagt Anne. »Ich möchte, dass er Angst hat. Angst kann einen Mann
ruinieren. Ich habe es schon erlebt.«
Drei Uhr nachmittags: Kerzen
werden gebracht. Er sieht in Richards Journal nach: John Fisher wartet. Es ist
Zeit, wütend zu sein. Er versucht, an Gardiner zu denken, aber er muss immer
noch lachen. »Machen Sie ein passendes Gesicht«, sagt Richard.
»Man würde nie auf die Idee
kommen, dass Stephen mir Geld schuldet. Ich habe für seine Amtseinsetzung in
Winchester bezahlt.«
»Fordern Sie es zurück, Sir.«
»Aber ich habe ihm bereits
sein Haus für die Königin weggenommen. Es schmerzt ihn immer noch. Ich sollte
ihn lieber nicht zum Äußersten treiben. Ich sollte ihm einen Weg zurück
offenhalten.«
Bischof Fishers knochendürre
Hände ruhen auf einem Ebenholzstock. »Guten Tag, Mylord«, sagt er. »Warum sind
Sie so leichtgläubig?«
Der Bischof scheint erstaunt
zu sein, dass sie nicht mit einem Gebet beginnen. Trotzdem murmelt er einen Segen.
»Sie sollten beim König um
Begnadigung ersuchen. Bitten Sie um diese Gunst. Flehen Sie ihn an, dass er Ihr
Alter und Ihre Gebrechen bedenken soll.«
»Ich kenne mein Vergehen
nicht. Und was immer Sie vielleicht denken, ich bin nicht in meiner zweiten
Kindheit.«
»Aber genau das glaube ich.
Wie sonst hätten Sie dieser Barton Glauben schenken können? Wenn Sie auf der
Straße an einem Marionettentheater vorbeikämen, würden Sie nicht begeistert
stehen bleiben und rufen: >Seht ihre kleinen Holzbeine an, wie sie laufen;
seht, wie sie mit den Armen wedeln. Hört, wie sie ihre Trompeten blasen
Würden Sie das nicht tun?«
»Ich glaube nicht, dass ich je
ein Marionettentheater gesehen habe«, sagt Fisher traurig. »Zumindest keines
der Art, von der Sie sprechen.«
»Aber Sie sind mittendrin,
Mylord Bischof! Sehen Sie sich um. Alles ist ein einziges großes
Marionettentheater.«
»Und doch haben so viele an
sie geglaubt«, sagt Fisher sanft. »Kein Geringerer als Warham, der frühere
Canterbury. Ein Dutzend, hundert fromme und gelehrte Männer. Sie haben ihre
Wunder bezeugt. Und warum sollte sie ihr visionäres Wissen nicht kundtun? Wir
wissen, dass sich der Herr, bevor er zu Werke geht, durch seine Diener
ankündigt, denn der Prophet Arnos verkündet...«
»Kommen Sie mir nicht mit dem
Propheten Arnos, Mann. Sie hat den König bedroht. Seinen Tod vorhergesehen.«
»Vorhersehen ist nicht
dasselbe wie ihn zu wünschen, schon gar nicht ihn herbeifuhren zu wollen.«
»Ah, aber sie hat nie
irgendetwas vorhergesehen, von dem sie nicht hoffte, dass es geschehen würde.
Sie hat sich mit den Feinden des Königs zusammengesetzt und ihnen erzählt, wie
es ablaufen würde.«
»Wenn Sie Lord Exeter meinen«,
sagt der Bischof, »so ist er bereits begnadigt, natürlich, und Lady Gertrude
ebenso. Wenn sie schuldig wären, hätte der König Schritte eingeleitet.«
»Nicht zwangsläufig. Henry
strebt nach Versöhnung. Es gehört zu seinem Wesen,
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