Mantelkinder
hinter sich bringen, denn die Verkäuferin hatte ihn auf einen weiteren Kundenkreis hingewiesen, den er fast schon vergessen hatte. Er ging über den Roncalliplatz und blieb gegen seine Gewohnheit nicht stehen, um seinen geliebten Dom zu betrachten. Dafür war es einfach zu kalt. Außerdem störte ihn das Gedudel der Musik, die von einem weiteren Weihnachtsmarkt herübertönte. Ein paar Meter weiter stank es nach gebratenem Fisch und verbrannten Maronen.
„Dann doch lieber Glühwein“, murmelte Chris und machte sich schnell Richtung Altstadt davon. Als er an einem Bastelgeschäft vorbeikam, überlegte er kurz, sich dort über Seidenmalerei schlau zu machen. Aber das würde nicht viel Sinn haben. Die Hersteller der Schals und der verwendeten Farben hatte die Polizei zwar ausfindig gemacht, aber es handelte sich um Marken, die so gut wie jedes Bastelgeschäft oder Kaufhaus führte.
Als er am Caribbean Club vorbeikam, war die Versuchung groß, einfach reinzugehen und sich ein weiteres Mal mit einem phantastischen Abendessen verwöhnen zu lassen. Das war entschieden reizvoller, als heute noch einmal ein Geschäft zu betreten.
Tapfer ging Chris weiter, stand kurz darauf vor dem gesuchten Haus und fragte sich, was ihn wohl erwartete. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie es in einem Esoterikladen zuging, weil er noch nie in einem gewesen war. Esoterik hatte etwas mit Mystik und Religion zu tun, und mit beidem konnte er nicht viel anfangen.
Ein helles Glöckchen bimmelte, als er eintrat. Der süßliche Duft von Räucherstäbchen legte sich auf seine Lungen. Leise Harfenmusik erfüllte den Raum. Regale voller Bücher und Vitrinen mit Edelsteinen, Duftölen, Traumfängern und Kristallkugeln bildeten ein wohlgeordnetes Chaos. Chris verdrehte den Kopf und las Buchtitel wie „Lieben was ist“ und „Meditation zum vollkommenen Glück“.
Hinter einem Perlenvorhang kam ein junger Mann zum Vorschein. Er trug Nickelbrille und einen handgestrickten Pulli, über den lange lockige Haare wallten. „Hi!“, sagte er fröhlich. „Kann ich dir helfen?“
Mein Gott, der erste normale Mensch heute, dachte Chris und strahlte ihn erleichtert an.
„Sie werden als Ritualkerzen verwendet“, erklärte Chris und balancierte eine Schaumkrone auf der Handfläche. Er lag in der Badewanne und merkte, wie er langsam wieder auftaute. Nach der Rennerei durch die Stadt war er als Eiszapfen nach Hause gekommen und hatte gleich heißes Wasser in die Wanne gelassen. Die letzte Erkältung reichte ihm.
Karin setzte sich auf den Klodeckel und stellte auf dem gekachelten Mauervorsprung zwischen Toilette und Wanne zwei Gläser Burgunder ab.
„Von Anhängern der alten Religionen, hat der Typ mir erklärt“, führte Chris weiter aus. „Hexenkult und so Sachen. Wer in dem Bereich was auf sich hält, nimmt nur durchgefärbte Kerzen. Und jede Farbe hat eine andere Bedeutung.“
„Und blau? Welche Bedeutung hat blau?“
„Frieden, Harmonie, Spiritualität, Hoffnung, Heilung — die Details konnte ich mir wirklich nicht alle merken.“ Chris ließ den Schaum von der Hand tropfen und stellte sich vor, er läge schon in ihrem neuen Domizil in der Wanne.
„Da wäre blau aber die falsche Farbe“, sagte Karin nachdenklich.
„Ganz und gar nicht. So, wie ich ihn verstanden habe, kann Heilung auch Tod bedeuten, jedenfalls in spiritueller Hinsicht.“
„Wir hätten also einen segelnden Mystiker mit Geld und einer ausgeprägten Psychose, in dessen Bild auch noch rein zufällig die Farbe passt, die bei Claudia verwendet wurde.“ Karin verzog das Gesicht und griff nach ihrem Glas. „Tut mir Leid, aber das ist mir zu abgehoben.“
„Deswegen wollte ich es ja so genau wissen. Und ich denke, die Esoterikschiene können wir vergessen.“ Er hievte sich aus der Wanne und angelte nach dem Badetuch. „Kunzeler und der Haushaltswarenladen passen drei Mal besser zusammen, als Kunzeler und Räucherstäbchen.“
„´Es ist doch sonderbar bestellt,
Sprach Hänschen Schlau zu Vetter Fritzen,
Dass nur die Reichen in der Welt
Das meiste Geld besitzen`“, rezitierte Karin, und als sie das verständnislose Gesicht von Chris sah, fügte sie hinzu: „Eins von Lessings Sinngedichten. Wollte sagen, dass unsere Vermutung stimmt: Es muss jemand sein, der nicht arm ist. — Du machst mich an, weißt du das?“
Einen Augenblick lang war Chris irritiert. Dann trat er nass und nackt, wie er war, vor Karin. Die legte ihre großen warmen Hände auf seine Hüften
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