Mantramänner
mit mir zu tun! Allenfalls mit der Frau, die ich gern werden wollte.
»Weißt du, es geschieht ja im Leben nichts ohne Grund«, erklärte ich versonnen und lehnte mich an die Wand, eine Haltung, die mädchenhaft und lässig zugleich aussehen sollte. »Jedenfalls glaube ich, es ist nicht ganz umsonst so, dass ich morgen Mittag in der Gartenarbeitsgruppe eingeteilt bin.«
»Wie schön«, sagte er, und wieder erschien dieses Grübchenlächeln, »dann sehen wir uns ja. Morgen um eins, hinter dem Rosenbusch. «
Siv mochte ein toller Yogalehrer sein. Aber das mit der stillen, leidenschaftslosen Zufriedenheit hatte er fast genauso wenig drauf wie ich. Das spürte ich genau. Immerhin etwas, in dem wir uns tatsächlich ähnlich waren. Vielleicht konnten wir ja gemeinsam an unseren Defiziten arbeiten.
Allerdings nicht, ohne sie vorher noch einmal so richtig auszukosten.
Mist. Ich hatte schon wieder unanständige Gedanken. Warum musste Mr Buddha denn auch ausgerechnet der erste Mann seit Jahren sein, der auch meine beste Freundin nervös machte?
»Ich muss dann mal«, flüsterte ich, »bis morgen!«
»Gute Nacht«, flüsterte er zurück, »und keine Sorge, dein kleines Missverständnis ist bei mir gut aufgehoben.«
Dabei sah er mich an, als hätte er mich am liebsten bei der Hand
genommen und mich in sein Zimmer geführt, um gemeinsam die Rotweinflasche auszutrinken.
Er drehte sich um. Auf der Rückseite seines blauen Sweatshirts glänzte ein goldener Buddha. Und hielt den Mund. Entweder Sweatshirtbuddhas konnten nicht sprechen – im Gegensatz zu Autobuddhas und Flyerbuddhas. Oder er gehörte zu der schweigenden Mehrheit, die sich an das Stillegebot hielt.
Ich erzählte Melli selbstverständlich nichts von meiner abendlichen Begegnung auf dem Gang, als wir später gemeinsam in dem Jugendzimmerbett nebenan lagen. Zuerst redeten wir eine ganze Weile lang gar nichts, aber wir kannten uns lang genug, um zu merken, dass jede von uns ihren eigenen Kampf ausfocht. Mit dem Einschlafen, mit dem eigenen Stolz und mit Gedanken, die in eine ähnliche Richtung gingen. Melli war es schließlich, die das Schweigen brach.
»Findest du das denn eigentlich wirklich alles so blöd?«, fragte sie beinahe zaghaft. »Diese ganze Weltanschauung und was den Leuten hier Yoga bedeutet? Was es mir bedeutet?«
»Nein«, sagte ich, erleichtert, dass sie den ersten Schritt gemacht hatte. »Das ist mir nicht unsympathisch. Ich meine, mit jemandem, der jeden Tag für den Weltfrieden meditiert, würde ich jedenfalls lieber einen trinken gehen als mit jemandem, der nur für die Wertsteigerung seines Aktienportfolios betet.« Ich hörte Melli in der Dunkelheit tonlos kichern und kicherte mit, einfach so, aus alter Freundschaft. Bis ich verstand. Vielleicht brauchte ich noch dringender ein Date mit den Anonymen Alkoholikern als mit einem sexy Yogalehrer. »Ich meine natürlich, einen Tee trinken«, fügte ich hinzu.
Melli seufzte und richtete sich schließlich halb im Bett auf. Vorsichtig bewegte sie den Kopf hin und her, bis ihre Halswirbel knackten.
»Erinnerst du dich noch an diese Hausboottour?«, fragte sie plötzlich. »Diesen Trip für Reisebüromitarbeiter, bei dem jemand ausgefallen war und du mich mitnehmen durftest?«
»Klar erinnere ich mich. Ich hab am ersten Tag das Boot an der Schleuse festgemacht, fast wären wir geendet wie die Titanic.« Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und sah ein paar geheimnisvollen
Lichtpunkten an der Decke zu. Wo kamen die jetzt her? Versprengte Energie vom gemeinsamen Mantrasingen?
»Weißt du«, fuhr Melli fort, »was mich am meisten überrascht hat, war, wie schwerfällig diese Boote zu manövrieren sind. Man lenkt und lenkt und lenkt und es passiert überhaupt nichts, und plötzlich, fünf Minuten später, macht das Ding eine Kurve und du musst total gegensteuern. Weißt du was? Genau so bin ich doch auch. Unheimlich langsam, aber wenn ich mal auf Kurs bin, dann bin ich auch auf Kurs. Dann lasse ich mich so schnell nicht mehr abbrin-gen. Ich mache einfach keine halben Sachen, dafür bin ich nicht geschaffen.«
Ich nickte in die Dunkelheit. Es stimmte, was sie sagte. Melli hatte für alles in ihrem Leben lang gebraucht. Steve hatte sie ein halbes Jahr gekannt, bis sie sich zum ersten Mal von ihm küssen ließ, und bis sie sich für eine Ausbildung zur Erzieherin entschieden hatte, waren sämtliche Bewerbungsfristen für das Jahr schon abgelaufen. Doch wenn sie sich auf etwas einließ, dann
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