Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
Vom Netzwerk:
abgesägtem Auspuff, wie es früher die Jungs auf dem Land hatten«, plapperte sie aufgeregt, »meinst du, das hat mit einer Art schmutzigen Energie in unserem gemeinsamen Feld zu tun?«
    »Wahrscheinlich«, murmelte ich schlaftrunken, »also, wenn ich es recht bedenke … ganz sicher sogar.«

    »Ehrlich?«, fragte sie erschrocken. »Ich glaube, wir müssen da morgen noch mal telefonieren. Dann erzähle ich es dir in aller Ruhe und ausführlich.«
    Sie machte ihre Drohung wahr. Sie erzählte es ausführlich. Vor allem, wie Siv geschaut hatte, als er ihr auf der Lotosblume in die Augen gesehen hatte. Nun war mir durchaus bewusst, dass sich verliebte Frauen stundenlang über ein einzelnes Wort oder einen Blick ihres Schwarms auslassen konnten. Hatte ich schließlich selbst auch schon getan. Aber über einen Blick, den er ihr im Traum zugeworfen hatte – ging das nicht ein bisschen weit?
    Das sah Melli offenbar anders. Wenn sie nicht gerade von Siv geträumt hatte, dann mailte sie mir Fotos mit Tarotkarten, die in einer bestimmten Anordnung zusammenlagen. »Königin der Schwerter auf drei, das deutet auf große Veränderungen im Leben hin, oder?« Manchmal rief sie auch aufgeregt an, nur weil im Fernsehen etwas lief, das entfernt mit Yoga, Buddhismus oder Hinduismus zu tun hatte, wie etwa eine Dokumentation über nepalesische Bettelmönche.
    »Das ist doch ein Zeichen!«, sagte sie. »Ist es nicht so? Muss man nicht einfach nur achtsam sein, um die Zeichen zu erkennen?«
    »Das ist höchstens ein Zeichen dafür, dass Yoga total im Trend liegt«, knurrte ich, aber Melli ließ sich nicht abbringen.
    Mein Gewissen war nicht nur schlecht. Es war rabenschwarz.
    Wenn wirklich überhaupt nichts passierte, nicht einmal im Traum oder im TV oder beim Kartenlegen, kramte sie uralte Wortwechsel zwischen Siv und ihr aus dem Gedächtnis, um sie noch einmal in allen Einzelheiten zu analysieren.
    »Es gab da diese Stunde, da haben wir uns hinterher noch mal im Gang getroffen, vorn beim großen Videobeamer an der Bar. Da hat er mich angeschaut und gesagt: Dann mach’s mal gut, du.«
    »Ja. Und?«
    »Verstehst du denn nicht? Nicht einfach ›mach’s mal gut‹, sondern ›mach’s mal gut, du .‹ So als wollte er noch einmal extra betonen, dass er auch wirklich mich meint.«
    »Bist du sicher, dass du das nicht ein bisschen überinterpretierst?«

    »Hundertpro. Ich habe nämlich seitdem sehr genau darauf geachtet, was er zu anderen Frauen beim Abschied sagt.«
    »Nämlich?«
    »›Mach’s gut.‹ Einfach so, ganz nüchtern und einsilbig. Ohne ›mal‹. Und vor allem ohne ›du‹.«
    Ich rollte mich in meinem Bett zusammen und schnupperte an meinem Kissen. Es duftete, als hätte jemand eine Ladung indischer Gewürze darüber ausgekippt. Melli durfte in nächster Zeit auf keinen Fall meine Wohnung betreten. Sie hätte sofort gerochen, dass hier etwas faul war.
    »Und sonst?«, fragte ich. »Was macht dein Job?«
    »Ach, noch eine Sache«, rief sie aufgeregt in den Hörer. »Er hat neulich einen Zettel mit einem Termin für ein neues Retreat ans Schwarze Brett gepinnt. Im Erzgebirge. Und mich dabei angesehen, als wollte er …«
    »Moment. Letztes Mal hast du gesagt, du hast eine persönliche Einladung bekommen! Als wir alle zusammen nach Werderhorst gefahren sind!«
    »Über dieses Stadium sind wir doch längst hinaus«, sagte sie, »wenn du wüsstest, wie lebhaft unser Austausch gerade ist, energetisch! Manchmal ist es so extrem, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen kann. Aber«, sie kicherte vergnügt, »das ist ja normal bei frisch Verliebten, dass sie sich bis zum frühen Morgen wach halten.«
    Von Steve sprach sie dagegen überhaupt nicht. Höchstens auf Nachfrage. Steve war zu seinem Bruder gezogen, was im Grunde bedeutete, dass er zu seiner Mutter gezogen war. Denn der Bruder wohnte im ausgebauten Dachgeschoss seines Elternhauses, und die Mutter war sich nicht zu schade, ihm tagsüber die Küche zu putzen und die Wäsche zu machen. Dabei war Steves Bruder nicht achtzehn. Sondern dreiundvierzig. Ich konnte mir so richtig vorstellen, wie die beiden Brüder mit ihren Wochentagsboxershorts gemeinsam vor der Playstation saßen und frauenfeindliche Ballerspiele spielten. Hauptsache, das totale Kontrastprogramm zu dem Altar neben Mellis Bett.
    Irgendwie konnte ich Steve verstehen.

    Wenn Melli von ihm sprach, hatte ihr Ton etwas angestrengt Munteres, und ich vermutete, dass sein Auszug ihr bei Weitem nicht so egal war, wie sie

Weitere Kostenlose Bücher