Manuskript des Teufels
Hand fand bald den Schalter neben der Tür. Eine laternenähnliche Lampe tauchte von einem der zahlreichen Spitzbögen aus ein Stück des Flurs in ein fahles, gespenstisches Dunkel. Die Schlappen an seinen Füßen schleiften über die großen Steinplatten.
Bruder Mauritius, der jahrzehntelang in Buße, Askese und Verzicht gelebt hatte, ertappte sich auf dem Rückweg in seine Zelle dabei, dass er mit der Hoffnung spielte, sofort wieder einschlafen zu wollen, um den lukullischen Traum fortsetzen zu können. Ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen.
Er öffnete seine Zellentür und war gerade dabei, die dürftige Beleuchtung auszuknipsen, als er am Ende des langen Flures eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Seine Brille lag auf dem Nachttisch. Er kniff die Augen zusammen, die nicht mehr die besten waren, und meinte, einen Ordensbruder zu erkennen, der seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Wie gerne hätte er mit dem Kollegen ein paar Worte gewechselt. Das Schweigegelübde tat in solchen Augenblicken besonders weh.
11
Dozent Pater Jordan, beziehungsweise Firmenchef Ferdinand Feldkamp, hatte die ersten Tage genutzt, sich einzuleben. Die Arbeit im Pferdestall, wo nur zwei Haflinger standen, machte ihm sogar Spaß. Pater Franziskus, den er auf Ende 70 schätzte, schien äußerst froh über die unerwartete Erleichterung zu sein.
Jordan hatte unbedacht versucht, mit dem sympathisch wirkenden Mann ins Gespräch zu kommen. Doch der auf den Mund gerichtete Zeigefinger, einige Gesten einer Zeichensprache und die entschuldigend hochgezogenen Schultern, belehrten ihn eines Besseren.
Eine Sprache jedoch verstand Jordan sehr gut: die vor Freude und Glück strahlenden blauen Augen eines Menschen, der fast fünf Jahrzehnte seines irdischen Daseins unter nahezu unmenschlichen Ordensbedingungen Gott zu Ehren geopfert hatte.
Pater Jordan stellte zu seiner Beruhigung fest, dass sich während der mehrstündigen Gebetszeiten und der Essenszeiten kein Ordensbruder in der gesamten Mönchsklausur aufhielt. Das bot ihm Gelegenheit, sich tagsüber mit den Räumlichkeiten in den Tabuzonen des Klosters vertraut zu machen und sich Stellen zu merken, an denen man ein Versteck vermuten könnte.
Auch die bevorstehenden Nachtschichten würden ihm keinerlei Probleme bereiten. Er konnte überall unbemerkt hingelangen, denn zur Schlafenszeit der Mönche würde ihm dabei niemand begegnen.
Sollte er auf einem seiner nächtlichen Streifzüge dennoch jemandem begegnen, würde er dank des Schweigegelübdes nicht zur Rede gestellt werden. Mit Hilfe des Nachtsichtgerätes würde er ein leichtes Spiel haben.
Auf seinem ersten Erkundungsgang, den er erst gegen 23 Uhr im Stockdunkeln begonnen hatte, war er unerwartet Bruder Mauritius begegnet. Wahrscheinlich hatte der ihn gar nicht bemerkt. Aber mit dieser Vermutung lag er falsch.
Bruder Mauritius, der sich so sehr auf die genüssliche Fortsetzung seiner Träume gefreut hatte, fand so schnell nicht wieder in den Schlaf zurück. Er grübelte noch lange über das, was er draußen im schwach beleuchteten Kreuzgang glaubte, gesehen zu haben. Die Gestalt passte nicht ins Bild. Seine Mitbrüder und -patres waren bis auf eine Ausnahme von kleiner Statur. Die eine Ausnahme, Bruder Jakob, war mit seinen fast zwei Metern wesentlich größer als die Person im Flur. Unter den bereits in die Jahre gekommenen Mönchen, die vielleicht auch an Nykturie litten, kannte er keinen mit einem solch aufrechten Gang.
Je mehr er nachdachte, umso beunruhigter wurde er. Erst als er beschlossen hatte, den Abt zu informieren, schlief er beruhigt ein.
Das Schweigegelübde ließ einige Ausnahmen zu. So zum Beispiel bei notwendigen Verständigungen während anfallender Arbeiten oder bei Abstimmungen über wichtige, das Leben im Kloster betreffende Entscheidungen. Auch bei dringenden persönlichen Anliegen oder Problemen konnte ein Gespräch mit dem Abt gesucht werden.
Die Anmeldung zu einem derartigen Gedankenaustausch erfolgte nach einer altbewährten Gewohnheit. Nach der Mittagslesung und dem Tischgebet schauten alle am Tisch Sitzenden den Abt an. Er neigte den Kopf, hielt seine beiden zu einer Schale geformten Handflächen über seinen Teller als Ausdruck des Dankes für die von Gott empfangenen Gaben und schaute mit einem aufmunternden Lächeln in die Runde. Die Nahrungsaufnahme der kargen und fleischlosen Speisen konnte beginnen. Die dringende Absicht, den Abt zu sprechen, konnte man bei dieser Zeremonie dadurch zum
Weitere Kostenlose Bücher