Manuskript des Teufels
Bepflanzung.
Pater Jordan alias Ferdinand Feldkamp konnte dem Grundrissplan entnehmen, dass alle Bereiche der klösterlichen Stätte direkt von diesem Kreuzgang aus erreicht werden konnten. Dies vereinfachte erheblich die Orientierung bei seinen nächtlichen Streifzügen.
Es galt, ein Versteck ausfindig zu machen, das groß genug war, ein mehrere hundert Seiten starkes Manuskript in DIN A4-Größe aufzunehmen.
Für die heutige erste Suchaktion innerhalb des geplanten Zeitfensters von 23 bis 2 Uhr entschied er sich für den vermeintlich dicksten Brocken: die Klosterkirche mit den entsprechenden Nebenräumen. Die, weit ins Gesicht gezogene, spitze Kapuze der Mönchstracht verdeckte die leistungsstarke Infrarot-Nachtsichtbrille. Die Gummisohlen der Sportschuhe absorbierten jedes Geräusch und ließen seine Schritte auf den Steinböden unhörbar werden. Zu seiner Ausstattung zählte ein flaches Lederetui, das ein Besteck enthielt, dem jedes Schloss, selbst ein Zylinderschloss, in wenigen Augenblicken zum Opfer fallen würde. Jordan verzichtete auf eine Waffe. Seine knallharte Ausbildung in Nahkampftechnik und Selbstverteidigung lag zwar einige Jahre zurück, aber für das, was ihn hier im Kloster bei seinen Einsätzen begegnen könnte, müssten seine einst antrainierten Fähigkeiten bei weitem ausreichen.
Er wunderte sich über seine innere Gelassenheit, mit der er pünktlich zur vorgesehenen Zeit seine Aktion startete. Er konnte ja nicht ahnen, dass sich ihm gleich bei seiner ersten Operation ein ernstes Problem in den Weg stellen würde.
Dank seines Einbruchsets gelangte er problemlos durch die massive, stets verschlossene Holztür, die den Gästetrakt vom Klausurbereich trennte. Zwei Türen verbanden den Kreuzgang mit der Kirche. Jordan wählte zunächst den Zugang zum Bereich unter der Empore. Dieser kleinere Raum hinter dem Hauptportal wurde von einem hohen, schwarzen, schmiedeeisernen Gitter von dem übrigen Kirchenschiff abgetrennt. Durch den seitlichen Zugang im Gitter betrat Jordan den Teil, in dem sich die Kirchenbänke für die Gottesdienstbesucher befanden. Hinter der Kommunionbank und einer hölzernen Balustrade begann der allein den Mönchen vorbehaltene Kirchenabschnitt mit dem Chorgestühl. Sein Infrarotgerät leuchtete den Vor- und Besucherraum gründlich aus. Hier in den für Gäste zugänglichen Räumlichkeiten hatte er erwartungsgemäß nichts entdeckt, was als Versteck in Frage gekommen wäre. Die als Chorschranke bezeichnete Holzbalustrade stellte ein unüberwindbares Hindernis dar. Jordan gelangte über den Kreuzgang zu der Tür, die die Ordensleute nutzten, um in den Mönchschor zu gelangen. Hier schloss sich der Ostchor an, in dem sich der um drei Stufen erhöhte Altarraum befand. Ein eisernes Türchen in der Wand hinter dem Altar war zu klein für ein Manuskript. Jordan wandte sich jetzt dem Chorraum zu. Auch hier kein in Frage kommendes Schränkchen, keine verdächtige Wandnische und keine unverfugte Bodenplatte.
Bevor er sich der Sakristei mit der anschließenden Josefs-kapelle zuwandte, wollte er noch das Chorgestühl ausleuchten. Doch, was war das? Was tauchte da im infraroten Lichtstrahl auf? Jordan fuhr ein gewaltiger Schreck in die Glieder. Sein erster Gedanke war Flucht. Doch dann wurde ihm klar, dass voller Einsatz gefragt war. Auf dem Boden vor einem der Chorsessel lag eine scheinbar leblose Gestalt in Mönchskleidung. Der Mann lebte noch. Er schien sich jedoch in einem tiefen Koma zu befinden. Seine Haut fühlte sich auffallend kalt und feucht an. Hier war sofortige ärztliche Hilfe gefragt. Jordan steckte fürchterlich in der Klemme. Würde er jetzt Alarm schlagen, flog sein Täuschungsmanöver auf und seine Geheimaktion wäre gescheitert. An die katastrophalen Konsequenzen wollte er gar nicht denken. Die Emotionswellen glätteten sich, die Ratio übernahm wieder das Kommando. Dank seines mitgenommenen Handys konnte er Notarzt und Rettungswagen alarmieren. Als das Martinshorn zu hören war, zog er sich zurück.
Unbehelligt erreichte er sein Zimmer. Er entledigte sich seiner Tarnkleidung und sank erschöpft auf seinem Bett nieder. An Schlaf war zunächst nicht zu denken. Sakristei und Josefskapelle würde er ein andermal beehren.
Dank der Ordensregeln gab es kein Gesprächsthema zum nächtlichen Zwischenfall. Gast Ferdinand Feldkamp erfuhr nie, dass Bruder Albert schwer zuckerkrank war und während eines außergewöhnlichen späten Kirchenbesuches in ein Unterzuckerungskoma
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