Manuskript des Teufels
dir, dass du ein anständiger und sympathischer junger Mann bist. Und besonders, dass du nicht in die Stadt gezogen bist, um einen lukrativen Beruf zu erlernen oder gar zu studieren. Unser Familienoberhaupt begrüßt es sehr, dass du deine Mutter nicht allein gelassen hast. Außerdem war dein verstorbener Vater ein guter Freund der Familie, bis es zu dem tragischen Unfall kam. Ich soll dich von Signore Vittorio Barbaro grüßen. Er möchte dich persönlich sehen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, beabsichtigt er, falls du und deine Mutter zustimmen, dir die Stellung zu übertragen, die damals dein Vater innehatte. Dir und deiner vermutlich immer größer werdenden Familie stünde eine sichere Zukunft bevor.“
Der schlanke Herr im schwarzen Anzug, weißen Hemd und gelber Krawatte stand jetzt auf. „Kommenden Dienstag um elf Uhr erwartet er dich in seiner Villa in Plati.“ Er reichte Mama Leone und Leano die Hand und wandte sich zur Tür. Bevor Leano antworten konnte, hatte ihr Gast bereits das Haus verlassen.
Mama Leone und Sohn Leano standen sich wortlos gegenüber.
Leano wusste beim besten Willen nicht, wie er das soeben Gehörte einordnen sollte. Er schaute seine Mutter fragend an und verstand die Tränen in ihren Augen nicht: „Vittorio Barbaro, wer ist das? Und wieso kennt der mich so gut?“
„Ein Spross der Barbaros, die seit Jahrhunderten in Plati leben.“
„Und wie komme ich zu der Ehre einer Privataudienz? Hatte Vater etwas mit denen zu tun?“
Mama Leone nahm die Hand ihres Sohnes. Beide setzten sich an den Tisch, schauten sich an. „Vater hat nie viel erzählt. Aber ich habe natürlich einiges mitbekommen. Willst du es wirklich hören?“
„Ja, sicher.“ Sie spürte die Anspannung in Leano.
„Die Vorfahren der Barbaros haben im 19.Jahrhundert die kalabrische Mafia gegründet.“
„Was? Die ´Ndrangheta.“ Seine Augen funkelten.
„Genau. Sie sind inzwischen größer und mächtiger als die sizilianische Cosa Nostra und die neapolitanische Camorra. Und auch umsatzstärker...“
„Ihr werden Umsätze im zweistelligen Milliarden-Bereich pro Jahr nachgesagt. Gehören wir etwa auch zu der Familie? Und was hatte Vater damit zu tun?“ Auf diese gezielte Frage erhielt er keine direkte Antwort. Dann fuhr sie fort:
„Die leitenden Positionen, angefangen beim Paten bis zur mittleren Führungsschicht, werden nur von echten Blutsverwandten eingenommen. Das garantiert absolutes Vertrauen und Verlässlichkeit. Welchen Posten Vater hatte, weiß ich nicht. Er hat es mir nie erzählt. Ich habe das akzeptiert und nie danach gefragt. Aber eines war sicher: Wir waren zwar nicht reich, aber es war trotzdem immer genug Geld da.“
„Und was soll ich jetzt machen? Soll ich am Dienstag nach Plati fahren?“
Mama Leona streichelte ihm über die fülligen schwarzen Locken: „Mir scheint, du kennst den Ehrencodex der Familie noch nicht. Du hast keine Wahl mehr. Wenn der Boss der Bosse höchst persönlich seine Hand nach dir ausstreckt, ist die Sache beschlossen. Du darfst nicht ablehnen. Das würde mit dem Tode bestraft. Flucht ist auch keine Lösung. Sie finden dich überall. Der Arm der `Ndrangheta reicht über die ganze Welt. Mein Junge, ab heute bist du nicht nur mein, sondern auch der Sohn der Familie. Vater und ich haben versucht, dir den Glauben an Gott und die Jungfrau Maria vorzuleben. Wir haben dich die zehn Gebote Mose gelehrt. Die Grundprinzipien der `Ndrangheta sehen anders aus. Demut und Gehorsam gegenüber den ‚Ehrenwerten‘ werden von dir erwartet. In der Familie werden dir Anerkennung, treue Freunde, Karriere und Wohlstand geboten, aber nur wenn du bedingungslos gehorchst. Treuebruch und Verrat werden mit dem Unfalltod bestraft. Leano, ich versichere dir, dein Vater war immer ein frommer Mann. Ich denke, wegen einer Unvereinbarkeit von Gewissen und Pflicht musste er sterben. Ich hoffe, du wirst nie in eine ähnliche Situation kommen.“
„Mutter“, versuchte Leano sie zu beruhigen. „Lass uns abwarten, was am Dienstag geschieht.“
Mama Leone drückte Leano an ihr Herz, als wolle sie ihn nie mehr los lassen.
26
‚T‘ nickte und ging voran. Ein Aufzug brachte sie ins zwanzigste Stockwerk. Ihr vorbestellter Besprechungsraum lag direkt neben der Tower Lounge, die wegen des Panoramablicks über den weithin bekannten und facettenreichen Strand von Tel Aviv bei Hotelgästen und Besuchern beliebt war.
„Yumtuv, guten Tag die Herrn“, grüßte ein mit schwarzer Hose, weißem
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