Mappa Mundi
unerträglich. Tatsächlich erschien die Vorstellung einer durch die sanften Bande demokratischer Übereinstimmung befriedeten Erde durchaus verlockend – besonders, wenn die fragliche Demokratie nach amerikanischem Vorbild geschneidert wäre. Es erschien verdammt ideal.
Und wenn man auch nur einen Rest von ethischen Grundbegriffen übrig hatte, stank es wie ein zwei Wochen totes Stinktier.
Mary hielt die Idee für unglaublich und zutiefst beängstigend. Sie sah nicht, welchen Sinn der Fortbestand der menschlichen Rasse noch haben sollte, wenn alles sich über alle wesentlichen Fragen völlig einig war. Was für ein homogenisiertes Leben in Stepford würde das sein? Was bedeutete es noch? War Unterdrückung, ohne dass die Unterdrückten davon wussten, nicht dennoch eine verdammt schreckliche Unterdrückung? Was unterschied es davon, mit einer überlegenen Armee in ein fremdes Land einzumarschieren und zu sagen, »tut, was wir euch befehlen, sonst töten wir euch«? Doch nur insofern, als es nicht einmal ansatzweise Widerstand geben würde – den Widerstand hätte man bereits im Vorfeld niedergewalzt.
»So wird es nun auch wieder nicht sein«, hatte Guskow ihr versichert. »Nachbarn werden sich nach wie vor darüber streiten, wem das Obst gehört, das am Ast über dem Zaun hängt. Überall wird es noch immer Ungleichheiten geben, Klassenschranken, Reiche und Arme. Schon wenige Stunden nach der anfänglichen Woge der Loyalität beginnen die Menschen vom Standard abzuweichen, den die Software gesetzt hat. Sie denken selbstständig, und sie verändern sich. Aber die größten Unterschiede, die völkervernichtenden Vorstellungen vom Sinn des Lebens und dem, was wichtig ist – sie sind durch das NP-System so lange abgeglichen, dass die Weltbevölkerung auf breiter Basis zu einer Übereinstimmung findet. Danach lassen sich Abweichungen, die in ernsthaften Gewalttaten kulminieren könnten, human mit Auffrischprogrammen eindämmen. Das wären nur geringfügige Korrekturen.« Er hatte nicht gesagt, welche und, noch wichtiger, wessen Weltsicht er als Vorlage seines Zauberkunststücks benutzen wollte. Diese Frage wäre Gegenstand bevorstehender Diskussionen auf der Ebene des Präsidenten und des NSC.
Na ja, dachte Mary, leicht zu sagen und schwer danach zu leben, und wenn Deer Ridge der einzige Testlauf bleibt, dann helfe uns Gott. Doch wie konnte sie trotz all ihrer Mentalreservationen (ha ha) mit Nein stimmen, nachdem sie und andere beim CIA die Prototypen von Mappaware bereits bei ihren inoffiziellen Mitarbeitern einsetzten?
Mary wusste, dass das Verfahren funktionierte. Auch wenn den Leuten ihre Anweisungen nicht gefielen, vermochten sie nicht dagegen aufzubegehren, sondern mussten sie befolgen. Sie fühlten sich erbärmlich, aber sie verrichteten ihre Aufgabe, und wegen des natürlichen Kniffs, dass es zwischen einer Handlung und ihrer Bewusstwerdung eine Verzögerung gibt, deuteten sie ihre Gründe neu und hielten, was sie getan hatten, für ihre eigene Entscheidung. Einfach brillant, dieses Verfahren.
Mary war dagegen, dass jeder damit behandelt wurde, doch unbestreitbar liefen dadurch zahlreiche Dinge viel glatter als in der Vergangenheit. Niemand stieg aus, wenn Aussteigen unmöglich war. Aber wenn dieses Verfahren jemand anderem in die Hände fiel … sie legte keinen Wert darauf, in der Tiefe ihrer grauen Hirnmasse zum Japaner oder Araber zu werden, die Sicherheitspläne der Nation mit einem Lächeln zu übergeben und noch einen schönen Tag zu wünschen. Nein, für Zimperlichkeit war der falsche Zeitpunkt.
Als Dix’ Fraktion für Ja stimmte, hob Mary ebenfalls die Hand.
Die Aktion wurde genehmigt.
Niemand stimmte dagegen. Ramirez und einige andere enthielten sich. Mary wusste, dass ihnen schon die schiere Existenz Guskows und seiner Errungenschaften zuwider war, doch sie waren politisch zu klug, um mit Nein zu stimmen. Sie musste diese Leute im Auge behalten. Menschen, in deren Köpfen sich gewaltige Widersprüche breitgemacht hatten, konnten ihre Persönlichkeiten erfolgreich fragmentieren, um höhere Effizienz zu erzielen. So wie sie. Wie Guskow. Sie konnten alles schaffen.
Als sie die Besprechung beendeten und im Vorzimmer ihre Pads abholten – solche Treffen fand stets im Privaten statt, und es wurden keine Aufzeichnungen angefertigt –, fand Mary drei neue Nachrichten vor. Eine von Fassmeyer, leer. Eine von Jude.
Sie wusste schon vorher, was darin stand. Der arme Kerl. An ihn wollte sie im
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