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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Natalie sie noch nie gesehen hatte. Sie war grotesk groß und plump und wirkte viel zu schwer, um sie zu heben, doch der Frau schien sie keine Schwierigkeiten zu machen. Ein leises Zischen war zu hören, und hinter Dans rechtem Oberschenkel erschien an der Wand ein großer roter Fleck. Natalie hörte ihn schreien, während die Frau sich umdrehte, den Blick auf ihn verstellte und Natalie in die Augen sah.
    Das Geschrei war ein nahezu unglaublicher Lärm, hoch, verängstigt, fassungslos: die Folge eines Schmerzes, der das Bewusstsein von allem anderen abtötete. Mit einer verstörenden Lautstärke gellte es aus dem digital perfektionierten Lautsprecher des Pads und hallte mit einer Eindringlichkeit durch die Erste Klasse des Flugzeugs, dass mehrere Leute vor Furcht aufschrien, es wäre zum explosiven Druckverlust gekommen. Natalie zuckte erschrocken zusammen, und das Entsetzen, das ihr wie Nadeln durch die Brust fuhr, ließ sie so sehr zittern, dass sie das Pad fallen ließ und auf dem Boden herumkriechen musste, um es wieder aufzulesen. Es heulte und kreischte weiter, wobei der Bildschirm nach unten lag.
    »Ich bitte um Verzeihung!«, begann die teuer gekleidete Frau auf der anderen Seite des Ganges so laut sie konnte. »Ich glaube kaum, dass Horror …«
    »Verpiss dich!«, fauchte Natalie sie an, als sie sich aus der Hocke erhob; sie klang so giftig, dass die Frau erbleichte und vor ihr zurückwich. Natalie nahm die Augen nicht vom Pad. Ihre verstärkten Sinne und ihre eigentümliche »Lebendigkeit« seit der letzten Beschleunigung der Selfware steigerten sich plötzlich. Das Flugzeug und die anderen Passagiere hörten auf zu existieren.
    »Hören Sie zu und antworten Sie mir«, sagte die Rothaarige. Sie wartete geduldig auf Pausen zwischen Dans Schreien, um zu sprechen, und grinste über Natalies Schwierigkeiten, die sie ohne Zweifel sehr gut hörte. »Wenn nicht, erledige ich, was von ihm noch übrig ist.« Sie drehte sich wieder um und hob den Arm.
    »Warten Sie! Halt!«, schrie Natalie und zog sich das Pad dicht vors Gesicht, damit man sie auf der anderen Seite umso besser hörte. »Hören Sie auf! Bitte! Lassen Sie ihn. Was wollen Sie?« Wenn sie vorgehabt hatten, Natalie aus dem Gleichgewicht zu bringen, hatten sie damit zu viel Erfolg. Ein Teil von ihr, der nicht ihrer bewussten Aufmerksamkeit bedurfte, informierte sie, dass ein Steward sich ihr nähere und die Leute sie beobachteten und auf sie zeigten.
    Diesmal hob die Frau keine Pistole. Natalie erkannte den Scanner augenblicklich.
    Sie richtete ihn auf Dan. Er hörte auf zu schreien und stellte sich gerade hin. Sein Gesicht entzerrte sich, als würde ein Film rückwärts abgespielt.
    Blut bildete einen weite Pfütze um seinen rechten Fuß, und an seinem linken Bein waren feine Flecken, wie nachträglich angebracht, wo verkochendes Blut hingespritzt war, doch nun schien es, als wäre alles mit ihm in Ordnung. Er wirkte gelassen und aufmerksam und grinste sogar ein wenig wie früher, während er unbekümmert fragte: »Tag, Natalie, was ist dir denn über die Leber gelaufen?«
    »Dan!«, rief sie leise und berührte den Schirm, wo sein Abbild sich bewegte; er balancierte unsicher auf dem unverletzten Bein. Ihr wurde klar, was sie benutzten und dass sie ihn schon lange vor dieser Eskalation infiziert haben mussten – lange, bevor Jude auftauchte. Wieso hatte sie es nur nicht früher bemerkt, als noch Zeit war, etwas dagegen zu unternehmen? Hatte er sie deswegen angesprochen, als sie ihn davonjagte, am Tag von Bobbys Experiment?
    Die Frau kam wieder in Großaufnahme.
    »Ihr Freund wurde mit einem Mindware-System sehr ähnlich dem Ihren infiziert. Doch das kennen Sie ja schon von Jude Westhorpe, Doktor.« Ihr Gesicht zeigte keine andere Regung als aufrichtige Gelassenheit. »Wir sind bereit, Ihnen zu vergeben, dass Sie gegen uns agiert haben, wenn Sie sich augenblicklich zu Ihrem Bestimmungsort in den Vereinigten Staaten begeben. Andernfalls müssten wir zu meinem Bedauern unsere funktionstüchtige Mindware auf Sie anwenden, um Ihre Mitarbeit beim geplanten Projekt sicherzustellen.«
    Nachdem die Frau geendet hatte, hob sie den Scanner und gab einen neuen Befehl ein.
    Natalie erkannte ihn als eine Zeichenfolge, die das NervePath in Dans Gehirn veranlassen würde, sämtliche Synapsen völlig stillzulegen. Wenn er bereits Sättigung erreicht hatte, bedeutete es seinen Tod.
    Natalie vermochte kaum den Mund zu bewegen. Sie betrachtete die Frau, die zu ihr

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