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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Identität vor, die für rationalen Zweifel empfänglich und bereit war, jeden Aspekt ihrer selbst abzulehnen, dessen Fehlerhaftigkeit oder Untauglichkeit bewiesen wurde. Für die Veränderungen, die eine Person ihrem Ich auferlegen konnte – von den Werten bis zur Sprache –, bestand praktisch keine Obergrenze, das wusste er aus eigener Erfahrung sehr genau; dennoch büßte man keineswegs das Gefühl ein, noch immer man selbst zu sein.
    Nachdem die technischen Scans von Bobby X zu Ende waren, begann das Computersystem mit der Verarbeitung der Daten, und es war Zeit für eine traditionellere Bewertungsmethode – ein Gespräch.
    Guskow ging auf die andere Seite des Raumes und tippte Natalie auf die Schulter.
    »Schließlich sind Sie seine Anstandsdame«, sagte er und hielt ihr die Tür auf.
    Sie nickte ihm zu und ging in den Testraum. Dort entfernte sie die Scan-Apparatur und begann, Stühle hineinzutragen, damit beim Gespräch jeder einen Sitzplatz hatte.
    Guskow folgte ihr und legte ebenfalls Hand an. Bobby – Ian – blieb sitzen und beobachtete sie mit niemals nachlassender Aufmerksamkeit. Seine Miene war unergründlich, leer und doch beteiligt. Guskow fragte sich, was er sehen mochte.
     
    Jude stand auf dem unteren Querbalken des Tors von Theo Jones’ Two-Fox Ranch und betrachtete aus dem Schatten unter seiner Hutkrempe die Pferde, die im Korral im Kreis liefen. Theo stand gleich hinter ihm, saugte an einem alten Grashalm und ließ Jude alle Zeit, die er brauchte. Die Pferdekoppel war trocken und das Gras unter den vielen Hufen zertreten worden. Jude kam immer wieder auf ein anmutiges, kräftiges Pferd zurück, dessen Mähne den gleichen braun-goldenen aufwies wie Mary Delaneys Haar. Auf dem Gesicht hatte es eine weiße Blesse. In der Herde gab es außer einem Grauen keine hellen Pferde, doch der Graue war für seine Zwecke noch zu dunkel.
    »Die da?« Jones schob sich den Hut in den Nacken und nickte. Für einen Augenblick nahm er sogar den Grashalm aus dem Mund. »Die beste in der ganzen verdammten Herde.« Er war verärgert, aber er konnte nichts tun. Jude zahlte ihm fast zehntausend und brach eine Stunde später auf dem Rücken des namenlosen Tieres auf. Er ritt die letzten zehn Meilen über Jones’ gepflegtes Weide- und Waldland bis an die Grenze der Reservation.
    Es war lange her, seit Jude das letzte Mal im Sattel gesessen hatte, aber das Reiten hatte er nicht verlernt. Die leichtfüßige Stute gehorchte willig seinen Anweisungen, sie bewegte sich gern und war erfüllt von der Energie des strahlenden Tages. Judes Lederhose knarrte. Er trug die Halskette und die Knochenperlenjacke seines Vaters. Auf seinem Kopf saß White Horses alter Hut, der im Haus von Jenny Black Eagle zurückgeblieben und dadurch dem Brand entkommen war. Wie gut, dass ihr Kopf so groß gewesen war wie seiner, dachte er und hätte fast gelächelt. Den gleichmäßig schaukelnden Pferderücken unter sich, die Zügel in der einen Hand, die andere locker herabhängend, hätte er für immer so bleiben und das Land durchqueren können, immer weiter, immer vorwärts. Doch schon nach einer Zeitspanne, die ihm wie wenige Minuten erschien, hatten sie den Weg gefunden, der dem Drahtzaun folgte, und bald schon erreichten sie das Tor und ritten die staubige Straße nach Deer Ridge hinauf.
    Die letzte halbe Meile ließ er das Pferd langsam gehen. In der Mittagshitze keuchend, blieben sie schließlich an dem verkohlten Fleck stehen, wo das alte Haus gestanden hatte, gegenüber von Paul Bearchums Veranda. Jude stieg ab und band das Pferd am Pfosten des Briefkastens fest. Als es zu grasen begann, ging er hinein, und sein kurzer Stimmungsauftrieb verpuffte.
    Die nächste halbe Stunde verbrachte er mit Paul in der Küche. Sie tranken Eistee, und Jude lauschte auf seine Mutter, die sich im Nebenraum mit anderen Verwandten unterhielt. Paul und er sagten kein Wort. Ihre Gläser standen auf dem blauweiß karierten Tischtuch, und sie betrachteten die Außenwelt durch die geöffnete Tür. Der Tag war hell und sonnig, und in der Ferne jagten Wolken hoch oben über den Himmel. Sanfte Lüfte zerzausten das wuchernde Gras neben den Verandastufen. Die Straße hinunter spielte ein Kind auf einem hellgrünen Dreirad. Ein Habicht segelte über den schwarzen Boden, wo White Horses Haus gestanden hatte, stieg dort in dem sanften Aufwind hoch und flog weiter.
    »Dieser Fall«, sagte Paul irgendwann. »Kommt er je vor Gericht?«
    »Glaube ich nicht«, antwortete

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