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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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sicher, was er nun am besten antwortete. Aus Furcht vor ihrer Reaktion wollte er ihnen nicht sagen, dass sich um einen militärischen Waffenfeldtest gehandelt hatte; ihre Reaktion wäre höchstwahrscheinlich Empörung gewesen, und obwohl sie im Recht gewesen wären, wären in den Unruhen Menschen zu Tode gekommen. Nur hätten sie das zu Anfang vermutlich anders eingeschätzt. »Ich glaube, es war das Ergebnis eines geheimen Forschungsprojekts. Ich weiß es noch nicht, aber ich werde es herausbringen.«
    Jenny musterte ihn, und ihre Miene spiegelte weder Vertrauen noch Misstrauen. Ihre Uhr schrillte. »Es ist Zeit«, sagte sie und sah ihn wieder an, als sie aufstand. »Paul hat mir gesagt, du brauchst Zeugen.«
    Jude nickte.
    »Ich suche dir welche.« Sie ging als Erste durch die Küche auf die Straße, wo der Pick-up mit dem Leichnam vorgefahren war. Jude führte das Pferd am Zügel mit und folgte mit den anderen dem Wagen die Straße entlang, die auf den Begräbnisplatz zulief. Er musste vielen danken, dachte er, als sie die Stätte erreichten. Die Gräber der Johnsons lagen nur einen Steinwurf entfernt. Freunde und Verwandte hatten sich abgerackert, um eine Grube auszuheben, die sieben Fuß breit und vierzehn Fuß lang war.
    Der Pick-up hielt auf der Straße, und Jude reichte Squirrel die Zügel, damit sie das Pferd hielt. Er ging vor der Spitze der Bahre und führte den Trauerzug zu dem abgeschiedenen Flecken an, der das Flusstal überblickte. Sie stellten das hölzerne Gerüst auf ein Gestell, und der in Decken gehüllte Leib seiner Schwester sah für Jude wie ein Bündel alter Kleider aus. Er zog Halskette und Jacke seines Vaters aus und legte sie White Horse an. Dann nahm er den Hut ab und setzte ihn ihr auf die Brust.
    Squirrel trat vor und legte einen silbernen Gürtel auf die Bahre, den sie selbst gemacht hatte. Jenny Black Eagle gab ein handgeschriebenes Bändchen mit Gedichten. Andere brachten kleinere Geschenke: Tücher, einen Kuchen.
    Jude stieg mit der Bahre in die Erde und überzeugte sich, dass alles richtig ausgelegt war. Er kletterte wieder hinaus und stellte sich an den Rand. Jenny legte den Sattel hinein. Squirrel reichte ihm die Zügel des Tieres. Alles stand schweigend da, auch der Priester, Father Younger, der aus Missoula angereist war für den Fall, dass sie es sich im letzten Augenblick noch anders überlegten. Jude erhaschte einen Blick auf das Gesicht seiner Mutter. Sie war schockiert. Von allen war sie die Einzige, die nicht erwartete, was als Nächstes geschah.
    Jude führte das Pferd an den Rand des Loches. Das letzte Stück wollte ihm die Stute nicht folgen. Erst als er ihr ein Pfefferminzbonbon aus seiner Tasche anbot, ließ sie sich aus Freude an dem schönen Tag und aus Fügsamkeit doch noch nah an die Kante locken. Aus dem Hosenbund zog er den Revolver. Als er klickend den Hahn spannte, stellte die Stute neugierig die Ohren auf. Auf der Suche nach einer weiteren Leckerei fuhr sie ihm mit den Lippen über die Hand.
    Jude zögerte. White Horse hätte niemals ein Tier erschossen. Eher wäre sie gestorben. Vielleicht wäre es klüger gewesen, ihr einen Subaru zu kaufen, doch ein Kriegerbegräbnis verlangte ein Pferd für das nächste Leben, und sie hatte sich für diesen Weg entschieden. Er hob die Waffe so, dass das Pferd sie nicht sehen konnte, und tätschelte ihm mit der gleichen Hand den Hals, dann begann er, hinter den Ohren die Schnallen des Zaumzeugs zu lösen.
    Doch er glaubte in keiner Weise, dass dies irgendwem irgendetwas nutzen würde. Von allen, die hier standen, war das Pferd am prächtigsten. Jude hatte es laufen sehen und seine Lebensfreude gespürt. Es verdiente zu leben, und er glaubte nicht, dass es eine andere Welt gab, in der White Horse und er je wieder auf ihm reiten würden.
    Über den schweißbedeckten Rücken der Stute hinweg sah er Paul, die anderen Verwandten und den Häuptling an, die ihn unbewegten Gesichts beobachteten und abwarteten. Seine Mutter hatte sich gefasst und stand stocksteif. Hinter ihm hielt Squirrel die Luft an. Jenny Black Eagle, die ihn angespuckt hatte an dem Tag, an dem er fortging, um dem FBI beizutreten, stand auf der anderen Seite neben ihm.
    Jude blickte in das Grab und in den unruhigen blauen Himmel.
    Er drückte den Abzug.
    Auf so kurze Entfernung krachte der Schuss fast ohrenbetäubend laut. Beim Knall fuhren sie alle zusammen, niemand aber stärker als das feuerfarbige Pferd. Mit einem gewaltigen Sprung setzte es über das Grab

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