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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Akzent nachzuahmen. Woher kam er? Aus New York jedenfalls nicht. Aus Texas auch nicht. Nein, sie konnte es nicht sagen.
    Natalie seufzte das Gesprächsprotokoll an und blickte auf die Uhr. Zehn vor neun. Vor zehn Minuten hätte sie Dienstschluss gehabt, aber im Moment konnte sie noch nicht gehen – nicht, wenn die Lämpchen auf der Schalttafel wie jetzt rot und blutig morsten: SOS. Sie gähnte und hob den Hörer ab. Ein tiefer Atemzug ist ein reinigender Atemzug.
     
    Zehn Minuten vor Mitternacht kam Natalie nach Hause. Mit der unbeholfenen, abgehackten Bewegung einer Gelegenheitsverrückten zog sie die Schlüsselkarte durch. Das Licht blinkte grün – jetzt ist Ihre Chance, Lady! –, und Natalie drückte mit der Schulter gegen die Tür, doch diese war durch den verregneten Juni aufgequollen und vibrierte nur mit einem Schauder des Abscheus, dann verklemmte sie sich an den Flurfliesen.
    Natalie trat einen Schritt in die Pfütze auf der obersten Treppenstufe zurück und streifte sich die guten Schuhe ab. Auf dem linken Bein balancierend, versetzte sie der Tür einen Karatetritt dorthin, wo sie am dicksten war, gleich neben dem Schloss. Ihr Fuß pochte protestierend, doch die Tür schwang zurück und schlug mit einem Knall wie von einem Pistolenschuss gegen die Wand, der durch den Flur hallte und auf die Straße drang. Wenn sie das Gleiche nicht schon seit zwei Wochen jeden Tag hätte tun müssen, wäre sie gewiss vor dem Krach zurückgeschreckt. Schließen ließ die Tür sich leichter – Natalie stemmte sich mit dem Po dagegen. Ihre bloßen Füße rutschten dabei über den kalten Boden. Sie lehnte sich gegen das finstere Holz und schöpfte Kraft. Nur noch die Treppen – sechs Treppen, aber wenigstens mit Teppich.
    Ihr Wunschtraum von heimischer Glückseligkeit hatte sich leider nicht erfüllt. Soviel wusste sie schon, als sie im schmalen Korridor stand und Blicke durch die verschiedenen offenen Türen warf.
    Aus dem Wohnzimmer kamen merkwürdige Geräusche und eine Rauchwolke, die ihr verriet, dass Dan zu Hause war, und nicht allein. In der Küche brannte Licht und enthüllte, dass begeistert Spaghetti Bolognese zubereitet worden war, nur um dann dem Überkochen überlassen zu werden.
    Sie nahm ihre Tasche vom Boden und drückte die Wohnzimmertür auf, wobei sie hinreichend viele Ich-bin-jetzt-zu-Hause-Geräusche produzierte. Das Licht war aus, doch als sie am Sofa vorbeikam, schimmerte Kerzenlicht (das von ihren Kerzen in ihrem teuren gotischen Kandelaber stammte) blass auf drei Beinen, einem Arm und einem Gewirr auf die Couch geworfener Kleidungsstücke, Einzelheiten, die ihr Gehirn nur allzu bereitwillig zu Dan und seinem Gast in flagranti ergänzte.
    Sie hielt sich die Tasche neben das Gesicht, damit die beiden sie nicht sahen, während sie durch die Kleiderhaufen auf dem Boden watete.
    »Ich hab nichts gesehen, nichts gesehen!«, sagte sie hastig.
    Von irgendwo aus dem kleinen, vielgliedrigen Hügel antwortete Dans Stimme: »Schon gut, wir sind sowieso fast fertig.«
    Hinter der dünnen Füllung ihrer Zimmertür dachte Natalie, die andere Stimme klinge, als gehöre sie Slow Joe, dem angeblichen Diskjockey. Sein ganz großer Auftritt war immer entweder gestern gewesen oder stand morgen bevor, und aus irgendeinem Grund schafften weder Natalie noch Dan es jemals, dabei zu sein – »Ihr Wörkaholickf fteckt doch immer auf der Arbeit feft, alfo firklich. Keinerlei Fpontanität in Ficht!« Er sprach nicht nur mit affektiertem Lispeln, sondern auch in affektiertem Tonfall, wodurch er wohl hoffte, sich wie ein Künstler anzuhören. Ein echter Prachtkerl.
    Natalie stellte das Radio auf einen Talksender, damit Joe keinen Vorwand hatte, hereinzukommen und über ihre Musik zu jammern. Sie öffnete die Tasche und holte die Schachtel mit gebratenem Reis heraus, den sie auf dem Nachhauseweg gekauft hatte. Kein Besteck. Nun, ein zweites Mal wollte sie Mata Haris Boudoir nicht durchqueren.
    Sie aß, indem sie zwei Bleistifte als Stäbchen benutzte und das Gesicht halb in der Schachtel vergrub, als Dan den Kopf durch die Tür steckte. Sein braunes Haar hätte auch zu einem struppigen Hund gepasst, und er sah aus, als wäre er immerzu high – als lebte er in einem tragbaren Barbados, das ihm allein gehörte. Sie beneidete ihn von ganzem Herzen.
    »Hallo, Smiler!« Er strahlte sie an. »Wie läuft’s denn so in der Irrenfabrik?«
    Natalie ärgerte sich jedes Mal, wenn er so tat, als würde er selbst dort nicht arbeiten, als

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