Mara und der Feuerbringer, Band 3: Götterdämmerung (German Edition)
musste so lange im Auto warten, denn er sah noch etwas sehr auffällig aus in seinem Wikingerleibchen. Sobald Mara fertig war, würden sie noch schnell einen Abstecher in die Kaufingerstraße machen, um den Jungen neu einzukleiden. Eigentlich freute sich Mara drauf, aber andererseits wäre sie lieber als Vierzehnjährige durch die Läden gestreift.
Boah, wie lange hält denn das mit den blöden Verjüngungsäpfeln noch an?, schimpfte sie in sich hinein, als sie die Haustür aufschloss. Doch als sie die vertraute, bohnerwachsige Luft des Treppenhauses in der Nase spürte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Mara kannte das Nach-Hause-komm-Gefühl zwar von den Urlauben, wenn sie nach zwei oder drei Wochen wieder in ihr Zimmer kam und sich alles vertraut und gleichzeitig fremd anfühlte. Aber das, was ihr jetzt gerade durch Mark und Bein ging, während sie die paar Stufen zu ihrer Wohnungstür hochstieg, war einfach unbeschreiblich.
Sie kannte ALLES so gut! Den Klang der Schritte auf den Stufen, das Geräusch vom Schlüssel, wenn er in das Schloss geschoben wurde, das Knickediknack beim Aufsperren und das dumpfe Blonk , wenn die Tür gegen die Bank an der Garderobe stieß. Fast glaubte sie, ihre Mutter zu hören. Mara! Die Tür hat schon eine Delle wegen dir! Ist das denn so schwer?
Nein, war es eigentlich nicht, aber es gehörte einfach dazu. Genau so wie Schuhe-nicht-parallel-zueinander-sauber-hinstellen oder die Schulsachen einfach fallen lassen und dabei viel zu laut seufzen.
Mara wusste, dass sie sich beeilen sollte, aber sie konnte einfach nicht anders: Sie musste erst einmal durch die Wohnung laufen und sich alles ansehen, als wäre es das erste Mal.
Im Wohnzimmer stand sie eine Weile vor der Couch, ohne sich hinzusetzen. Sie sah ihre Mutter in der Ecke sitzen, wie sie immer saß. Mit angezogenen Beinen und vor ihr eine Kanne dampfender Tee. Mama kochte ihren Tee immer in dem kleinen, altmodischen Teekesselchen mit dem geschwungenen Ausguss. Und erst, wenn der Ausguss siedendes Wasser spuckte, nahm sie ihn vom Herd. Keine Ahnung, warum Mama immer zu viel Wasser in das Ding füllte. Wenn es sich dann kochend und blubbernd ausbreitete, war doch klar, dass es … Ach, egal. So war sie eben. Auf jeden Fall brühte Mama damit die getrockneten Blätter aus den Leinenbeutelchen auf, und die ganze Wohnung roch in Sekunden nach ihren wunderlichen Kräutern. Mara mochte den Geruch eigentlich nicht, und viel zu oft hatte ihr das eigentlich so niedliche Teekesselchen mit seiner Spuckerei die Hand verbrüht. Aber jetzt gerade hätte sie einiges drum gegeben, mitten in dem Kräuterdunst zu stehen und dabei mit verkniffenem Mund die Hand kühl zu wedeln.
Mein Zimmer.
Das Zimmer eines Mädchens, das Mara nicht mehr war. Ganz klar, es war IHR Zimmer, es waren ihre Poster und ihr Hello-Kitty-Bettbezug. Doch das Mädchen, das hier wohnte, hatte Dinge als Probleme bezeichnet, über die Mara nur noch mitleidig lächeln konnte.
Wahnsinn, was mit Problemen so passiert, wenn man plötzlich echte Probleme hat, dachte Mara.
Eine Weile stand sie so da und versuchte, sich wie vor ein paar Wochen zu fühlen. Es gelang ihr nicht. Also gab sie sich einen Ruck, holte ein paar Klamotten aus dem Schrank und trollte sich damit ins Bad.
Die dreieinhalbminütige Dusche kam Mara vor wie ein Jungbrunnen. »Na, hoffentlich nicht«, murmelte sie, denn sie hatte sicher keine passende Kleidung für Sechsjährige im Schrank. Da fiel ihr Blick auf den Kleiderstapel, den sie sich rausgesucht hatte, und sie patschte sich mit der flachen Hand ins Gesicht. »Oh Mann.«
Die Sachen waren ihr doch auch alle viel zu groß!
Sie zog sich den Bademantel über und schlappte zurück in ihr Zimmer. Im Schrank wühlte sie sich bis ganz nach unten durch und zog ein paar möglichst kleine, weil alte Sachen hervor. Da sie eh keinen Modetrends folgte, passten die alten T-Shirts und die Hose genauso wenig zum momentanen Trend wie das Zeug, das sie jetzt anhatte.
Sie stieg hinein und fühlte sich seltsam. Warum, konnte sie im Moment gar nicht genau sagen, aber das Gefühl war sie inzwischen ja irgendwie gewohnt. Wenigstens trug sie jetzt keinen Schlabberlook in Penneroptik mehr.
Mara stopfte den lädierten Koffer, so wie er war, in den Schrank und packte stattdessen eine Sporttasche mit dem Nötigsten. Sie hatte jetzt wirklich weder Lust noch Zeit, den Koffer umzupacken.
So langsam kam nun auch wieder der Druck zurück. Und mit ihm die anstehenden Aufgaben.
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