Mara und der Feuerbringer, Band 3: Götterdämmerung (German Edition)
ein bisschen verwegen zwischen Ohr und Auge baumeln lassen sollte. Hm, auf der anderen Seite war es irgendwie auch ganz … okay. Irgendwie. Oder nicht? Mara strich sich die Locke aus dem Gesicht. Dann versuchte sie, sich möglichst entspannt an dem Pfosten eines Halteverbotsschilds anzulehnen, während Thumelicus mit ausgebreiteten Armen in der Sonne stand. Er schaute kurz zu Mara hinüber, als diese feststellte, dass das Schild nicht im Boden verankert war, sondern in einem eher kippeligen Hartplastikständer stand. Mara vollführte eine Bewegung, die sie selbst sofort an Rückenschwimmen erinnerte, schaffte es dadurch aber immerhin, sich halbwegs zu stabilisieren. Sie räusperte sich so künstlich, dass es fast schon wieder echt klang, weil niemand so ein Geräusch jemals absichtlich machen würde. Dann strich sie sich die Locke aus dem Gesicht. Jede Art von Entspanntheit war nun dahin.
Ich brauch gar kein Lispeln, dachte Mara genervt, ich kann alles in meinem Umkreis nutzen, um mich zum Obst zu machen.
Es sorgte schon ein wenig für Aufsehen, als sie mit dem wikingerisch gekleideten Jungen die Rolltreppe hinaufgefahren kamen. Doch Steffi und Mara hatten vereinbart, dass sie sich laut genug darüber unterhalten würden, dass ihm bei der Arbeit auf dem Mittelaltermarkt der Koffer geklaut worden sei. Dies war wohl der Moment, damit zu beginnen.
»Ist schon echt blöd, dass dir bei der Arbeit auf dem Mittelaltermarkt der Koffer geklaut wurde«, sprach Mara etwas zu laut in die Herrenabteilung hinein.
»Ja, und dann noch mit all deinen Sachen drin, weswegen du nun in diesem Kostüm alles neu kaufen musst. Also so was«, bestätigte Steffi all das, was man sich eigentlich eh schon hätte denken können.
Aber man konnte ja nie wissen, vielleicht hatten nicht alle gleich zugehört. Und so setzte Mara noch einmal nach: »Tja, aber da bleibt ihm ja jetzt nix anderes übrig, nachdem ihm ja bei der Arbeit auf dem Mittelaltermarkt alles geklaut wurde.«
Steffi hatte wohl auch das Gefühl, dass es vielleicht noch nicht allen wirklich restlos klar war, warum der Junge ein solches Kostüm trug. Darum nickte sie etwas zu heftig und sagte: »Was sollen wir machen? Schließlich müssen wir nun alles neu kaufen, denn seine anderen Klamotten sind ja nun mal im Koffer!«
»Der ihm geklaut wurde.«
»Ja, während er arbeitete.«
»Lassen Sie mich raten: Auf dem Mittelaltermarkt?«, sagte der freundliche junge Mann mit dem extrem akkuraten Seitenscheitel neben ihnen. »Was trägt er denn sonst so? Oder was hätten Sie gerne, das er trägt?«
»Also … wie kommen Sie darauf, dass wir entscheiden, was er anzieht?«, fragte Steffi, um möglichst weit weg von Koffern auf Mittelaltermärkten zu bleiben.
»Wären Sie sonst beide mitgekommen?«, antwortete der Scheitelmann und lächelte charmant. Dann deutete er mit seinen feingliedrigen Fingern nach rechts. »Wenn ich ansonsten was vorschlagen dürfte … «
Mara nickte. Dann strich sie sich die Locke aus dem Gesicht, zog sie wieder hinter dem Ohr hervor und strich sich dann die Locke wieder aus dem Gesicht. Oh Mann.
Zeit für noch ein Klischee, dachte Mara, als sie mit Steffi vor der Umkleidekabine in dem Klamottenladen stand. Gleich würde der Vorhang aufgehen, Thumelicus käme heraus, und sie würden beide schmachtend »Oh« und »Ah« machen. Außerdem würde irgendein Popsong besonders laut starten, und ein leichter Windstoß durch Thumelicus’ Haare fahren. Wie man das eben so kannte aus dem Kino. Aber das Kino war nicht das wahre Leben, und Mara war kein typisches Mädchen. Also kam es anders: Der Vorhang ging auf, Thumelicus trat heraus, und sie machten beide schmachtend »Ah« und »Oh«.
Aber es startete kein Popsong, und es kam auch kein Wind auf. So.
Vor Mara stand ein vierzehnjähriger Junge in einer Jeans und einem leicht taillierten Westernhemd. Außerdem trug er einen breiten Gürtel mit passender Gürtelschnalle und entsprechende Stiefel.
Mara hatte sich gerade die Locke aus dem Gesicht gestrichen und vergaß nun glatt, sie wieder hinterm Ohr hervorzuholen.
Auch der Verkäufer brauchte einen Moment, bis er seinen Mund wieder zugeklappt hatte. Er schluckte einmal und sagte dann: »Ich … ich würde mal sagen, die Kasse ist da drüben, und wenn ich recht verstanden habe, ist das alles zum ›hier essen‹? Dann schneide ich nur mal eben die Schildchen ab, sonst müssen wir den Cowboy auf die Kasse wuchten, hahaha.« Damit griff er eine Schere.
Thumelicus
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