Mara und der Feuerbringer, Band 3: Götterdämmerung (German Edition)
musterte den Scheitelmann, der nun mit einem spitzen Gegenstand lächelnd auf ihn zukam. Schon sah Mara ein weiteres Klischee am Horizont »Attacke!« brüllend auf sie zureiten. Thumelicus würde den Typen umnieten und ihm die Schere aus der schlaffen Hand nehmen, bevor er umgefallen war!
Nichts dergleichen geschah. Stattdessen wartete Thumelicus geduldig, bis der Scheitelmann ihm alle Preisschilder, Größenangaben und Infobroschüren von den Klamotten geschnippelt hatte. Er reichte die Preisschilder mit den Barcodes an Steffi weiter. »Ich nehme an, die Mama zahlt?«, sagte er grinsend, und Mara atmete erleichtert auf. Soweit war also alles doch recht gut verlaufen. Mara strich sich die Locke aus dem Gesicht.
Doch da hörte sie einen überraschten Schrei und drehte sich um. Thumelicus hielt gerade die Hand des jungen Mannes fest und nahm ihm die bunten Blättchen aus den Fingern, die der gerade von seinen Klamotten abgeschnitten hatte. »Ich … ich wusste nicht, dass du die haben willst«, keuchte der Verkäufer. »Die will sonst nie jemand … bitte … lass los, das tut ziemlich weh.«
Thumelicus wartete noch eine Sekunde länger, erst dann ließ er los, drehte sich einfach weg und folgte Steffi zur Kasse.
»Was für eine Arbeit hat der denn auf dem Mittelaltermarkt, um Gottes willen?«, ächzte der Verkäufer, während er sich das schmerzende Handgelenk rieb.
»Er hat einen Tauzieh-Stand?«, antwortete Mara.
»Einen was?«, lachte Steffi, als sie wenig später wieder ins Auto stiegen.
»Ich dachte, das passt irgendwie, wenn er so kräftig zudrücken kann!«, verteidigte sich Mara halbherzig. Bereits auf der Rolltreppe waren ihr schließlich einhundertvierundachzig Antworten eingefallen, die vielleicht etwas weniger dämlich geklungen hätten.
Steffi versuchte, es für Thumelicus zu übersetzen, aber sie scheiterte. »Ich weiß wirklich nicht, was Tauziehen auf Germanisch heißen soll, und ich will nicht, dass er das falsch versteht. Mal sehn, vielleicht weiß es ja der Herr Weissinger. Hoffentlich ist er inzwischen fertig, hatte ja lange genug Zeit.«
Mara lächelte und wollte sich gerade wieder die Locke aus dem Gesicht streichen. Da berührte sie etwas am Arm, und sie hielt inne. Es war die Hand von Thumelicus. Er sagte nichts, aber seine Züge umspielte der leise Anflug eines Lächelns.
Mara versuchte, zurückzulächeln, verunglückte aber leider auf halber Strecke, weil sie überlegte, wie genau sie jetzt am besten zurücklächeln sollte.
Sie ließ die Hand sinken und die Locke dort, wo sie war. Thumelicus nickte kaum merklich und zog seine Hand wieder zurück. Dann drehte er sich weg und schaute wieder aus dem Fenster.
Irgendetwas in Mara rumorte so heftig, dass sie kurz dachte, ihr wäre schlecht von dem Geschaukel auf dem Rücksitz. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Und dann noch einen Moment …
Als sie nach einer ganzen Reihe weiterer Momente vor der Wohnung von Professor Weissinger ankamen, stand der bereits vor der Tür. Er wohnte im Glockenbachviertel in der Dreimühlenstraße, und Mara beneidete ihn ein bisschen dafür. Sehr gerne hätte sie auch in diesem Viertel gewohnt, wo die Straßen ein bisschen enger und die Häuser deutlich älter waren. In der Au gab es zwar auch viele schöne alte Gebäude, aber leider wohnte sie mit ihrer Mutter in einem dieser eher fiesen Neubauten.
»Vivat!«, rief ihnen der Professor anstatt einer Begrüßung zu und winkte mit ein paar Zetteln. »Ich habe durchgezählt, und sie sind alle vollzählig!«
Steffi sah ihn todernst an. »Hallo, verwirrter Exmann. Was ist vollzählig? Zähne, Haare, Fußnägel?«
»Die Klausuren meiner Studis natürlich, oh Göttin der halbhumorigen Scherzgrenze. Ich hab die Arbeiten schließlich einmal durch die Hölle und zurück geschleift und bin jetzt einfach erleichtert, dass sie nicht nur vollzählig, sondern größtenteils sogar lesbar bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch angelangt sind.«
Nachdem Mara Professor Weissingers Schreibtisch in der Uni gesehen hatte, war sie sich gar nicht so sicher, ob die Klausuren vielleicht im Vulkan des Feuerbringers besser aufgehoben waren.
»Du meinst, du hast die Klausuren an der Stelle auf dem Zettel-Alpinum abgelegt, unter der du deinen Schreibtisch vermutest?«, entgegnete Steffi trocken und öffnete die Heckklappe, damit der Professor seine frisch gepackte Tasche hineinwerfen konnte.
»Der Berg ist nicht mehr so hoch wie damals, als wir ihn noch zusammen mit
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